Halb verliebt ist voll daneben - Roman
Handtasche nicht dabeihatte. Ich brauchte meine Handtasche wegen des Anschlusses. Sie konnten die Aufnahme nicht verwenden, wenn ich meine Handtasche nicht dabeihatte.
»Mir fehlt meine Handtasche!«, rief ich. »Es tut mir so leid.«
»Okay, anhalten.«
»Alles in Ordnung mit dir, Sarah?«
Das war Eamonn Nigels. Er sprach durch ein Megafon.
Nein, nichts ist in Ordnung mit mir. Ich weiß nicht mehr, wie ich sprechen soll. Ich sage eine Zeile. Aber dann höre ich sie in meinem Kopf und weiß, dass sie ganz falsch klingt. Ich kann mich nicht entspannen. Ich kann kaum atmen. Und ich muss dringend aufs Klo.
Aber das sagte ich natürlich nicht. Stattdessen zeigte ich meinen Daumen. Ich konnte Miles Mavers hinter Eamonn auf einem dieser Regiestühle sitzen sehen. Er sagte irgendwas. Ich glaube, es war der Vokallaut »O«. Es überraschte mich, dass er seine Anna Pawlowa nicht dabeihatte.
Gut, Sarah, sagte ich mir, du kannst das. Es waren fünf Zeilen. Ich musste das Striplokal verlassen, mit Ned an der Tür scherzen und dann in den Kleinlaster steigen und den Motor starten. Das Blöde daran war, ich wusste, dass es leicht war, doch die Kombination von Gehen und Reden und daran zu denken, auf welcher Wagenseite ich einsteigen musste und dabei noch auf den verdammten amerikanischen Akzent zu achten, hatten dafür gesorgt, dass ich mich verspannte. Außerdem hatte ich jede Menge guter Einfälle für diese Szene vorbereitet. Ich würde Ned den bösen Finger zeigen, wenn er über meine Fahrweise herzog, und dabei diesen kleinen Tanz machen, denn in meiner Hintergrundgeschichte bin ich ein bisschen verliebt in Ned. Plötzlich konnte ich Ned nicht mal
mehr anschauen. Das war das Allerschlimmste. Ich wusste, dass ich es konnte. Aber vor lauter Sorgen war ich völlig durcheinander. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren.
Eine Frau kam zu mir, um mein Make-up aufzufrischen. Ich trug Sunflower Oils Körpergewicht in Make-up mit mir herum, weil ich gerade erst im Klub gearbeitet hatte. Und sah deshalb aus wie Marilyn Mansons Muse. Die Maskenbildnerin hat vermutlich schon Angelina Jolies Nase gepudert. Hier war jeder durch und durch Hollywood. Nur ich war Sarah Sargeant von außerhalb von Croydon. Und das würde man herausfinden. Ich glaubte nicht daran, dass ich es schaffen konnte. Eine Karriere als Kellnerin kam mir plötzlich gar nicht mehr so schlimm vor.
»Sarah«, es war Eamonn Nigels in Person, nicht via Megafon. »Ist alles in Ordnung mit dir, Schätzchen?«
Der Regisseur hatte die Mühe auf sich genommen, zu mir zu kommen, weil ich so schlecht war. Alle schauten her.
»Oh, ich hab’s vermurkst, Eamonn«, flüsterte ich.
»Was macht dir Kopfzerbrechen?«
»Alles.«
»Möchtest du eine Eamonn-Umarmung?«
Ich lächelte, weil Eamonn Nigels’ Umarmungen die besten sind.
»Nein, denn dann bekäme die Maskenbildnerin bestimmt einen Herzinfarkt.«
»Hollywood schüchtert beim ersten Mal jeden ein. All die Leute um einen herum. Aber du hast das Recht, hier zu sein. Nach der Leseprobe haben alle nur noch von dir und Erin gesprochen. Und das meine ich ernst, Sarah.«
»Aber mein Akzent ist so beschissen.«
»Dein Akzent?«
»Hmm.«
»Dein Akzent ist großartig. Lass es uns genauso machen wie bei der Leseprobe. Wir haben alle Zeit der Welt. Das ist für heute die letzte Einstellung.«
»Ja, aber das heißt auch, dass alle nach Hause möchten.«
Eamonn sah mich streng an.
»Nicht aufgeben, Sarah, bitte.«
Ich brachte ihn in eine peinliche Lage. Er hatte mir zu diesem Film verholfen. Ich war die einzige englische Schauspielerin. Ich war nicht annähernd so erfahren wie alle anderen.
Er sah die Panik auf meinem Gesicht.
»Versuch es, und mach es so furchtbar, wie du kannst.«
»Wie bitte?«
»Sarah, du hast solche Angst davor, dich und mich und alle anderen zu enttäuschen, dass du nicht lockerlassen kannst. Sag dir einfach: Zum Teufel mit euch allen! Erlaub dir, Fehler zu machen. Es ist alles in Ordnung.« Und dann umarmte er mich. Ich wehrte mich ein bisschen, aber ich gab auf, als er sagte: »Pfeif auf die Maskenbildnerin.«
52
»Also, wie sieht’s aus, Sie werden mir jetzt sicherlich zustimmen, dass wir zu den Grundlagen zurückkehren müssen, oder?«, sagte Miles am nächsten Morgen.
»Es ist mir ganz egal, was wir machen, Miles, ich möchte nur meine Sprache wiederfinden.«
Ich war so müde. Wieder eine schlaflose Nacht. Kein Wort von Simon. Meine erste Erfahrung an einem Hollywood-Filmset ging mir
Weitere Kostenlose Bücher