Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
Krumm nicht leid tut“, ergänzte Lisa, die ebenfalls aufgestanden war, „wir machen uns natürlich so unsere Gedanken. Sie verstehen das sicher.“
„ Total“, antwortete Nielsen gelassen, „ich verstehe völlig. Ich habe wohl das, was man ein Motiv nennt.“
„ Die Frage ist“, meinte Fabian lakonisch, „ob Sie auch das haben, was man ein Alibi nennt.“
„ Wann ist es denn passiert? Letzte Nacht?“
„ Ganz recht“, bestätigte Lisa.
Georg Nielsen grinste breit. „Tja, da haben Sie Pech. Für heute Nacht habe ich ein grandioses Alibi, und das gilt auch für mich und alle anderen Bewohner dieses Hauses.“
„ Klingt ja spannend“, brummte Fabian, der sich innerlich bereits auf langwierige Ermittlungen und die Möglichkeit eines ungelösten Mordes einstellte.
„ War es auch“, sagte Nielsen. „Letzte Nacht gab es hier einen groß angelegten Feueralarm. Das ganze Haus war auf den Beinen, weil die Feuerwehr den Brandherd nicht finden konnte.“
„ Hat es denn gebrannt?“ fragte Lisa.
„ Offenbar nicht. Irgendjemand hatte einen Brand gemeldet, aber das war wohl nur ein Spaßvogel. Ich war fürchterlich sauer, aber jetzt kann ich wohl sagen: Ein Hurra auf die blöden Scherzkekse! Wenn Sie mich jetzt bitte zu meiner Frau lassen? Danke.“
Sechs
Lisa Becker schwieg nun schon seit zehn Minuten. Fabian Zonk machte sich allmählich Sorgen um seine ansonsten so plauderfeste Kollegin, die neben ihm in seinem Hyundai saß und aus dem Seitenfenster starrte. Sie hatte allein mit Leily Nielsen geredet, was Fabian durchaus recht gewesen war. Vermutlich war diese Spur sowieso schon tot, Erkundigungen bei der Feuerwehr würden das Alibi des Ehepaares klären. Es war wohl auszuschließen, dass Nielsen gelogen hatte. Ein Idiot war der Mann nicht, das stand für Fabian fest.
„ Findest du die Frau irgendwie verdächtig?“ fragte Fabian neugierig. „Ich meine, was hat sie gesagt?“
Lisa wandte den Blick nicht vom Fenster ab.
„ So gut wie nichts.“
„ Anscheinend ist das ansteckend.“
Lisa lächelte müde. Dann setzte sie sich wieder aufrecht hin und versuchte, professionell zu wirken. Wieder einmal hatte sie das Gefühl, nur eine Rolle zu spielen, die Rolle einer Kriminalkommissarin, und einmal mehr hielt sie sich für eine Fehlbesetzung. Das passte einfach nicht zu ihr. Sie musste ruhig und sachlich sein, aber eigentlich wollte sie heulen. Am liebsten an Fabians Schulter. Erbärmlich, oder?
„ Frau Nielsen ist gesundheitlich offenbar schwer angeschlagen“, begann sie. „Sie wollte nicht mit mir reden. Hat sich unter die Bettdecke verkrochen.“
Fabian sagte nichts. Er versuchte sich vorzustellen, was mit dieser Frau geschehen war, aber dazu fehlte ihm die unbedingt notwendige Erfahrung.
Gleichzeitig ängstlich und abwesend, zusammengekrümmt im Halbdunkeln, kaum wahrnehmbare Bewegungen. Und wenn sie sprach, dann tonlos und mit wenigen Worten. Leily Nielsen sprach inzwischen recht gut deutsch. Sie war ein Flüchtling aus dem Iran, wie aus der Akte hervorging. Vermutlich gab es eine faszinierende, spannende und unglaublich romantische Geschichte um dieses Paar um eine Iranerin und einen Ostdeutschen mit dänischem Namen. Aber Lisa hatte dafür in dem Moment keinen Sinn. Leily begriff erst nicht, was geschehen war. Ihr Mann bemühte sich, den Namen Krumms nicht zu nennen, und bat auch Lisa leise, das nicht zu tun. So sprach er von dem „Mann, der weggesehen hat“. Der sei tot. Und er sei ermordet worden. Jemand habe ihm den Kopf abgeschlagen. Georg Nielsen war den Umgang mit seiner Frau gewohnt, aber auch er wusste nicht recht, wie er ihr so etwas erklären konnte. Schließlich verstand sie.
Sie lachte nicht. Sie verzog das Gesicht, runzelte die Stirn. Dann richtete sie sich aus ihrer fötalen Position auf und schaute ihren Mann an, voller Erstaunen. Er lächelte unbeholfen, und da lächelte auch sie. Er nahm sie in die Arme und sie klammerte sich an ihren Mann, und ihre Lippen formten das Wort „Danke“.
„ Also, sie hat ihm gedankt?“ forschte Fabian. „Für was? Für den Mord?“
Lisa schüttelte den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Sie hat ihrem Mann dafür gedankt, dass er da war. Und zwar nicht nur heute, sondern die ganze Zeit davor. Und dass er auch in Zukunft für sie da sein wird.“
„ Das interpretierst du in dieses eine Wort?“
„ Findest du das blöd? Alberne weibliche Sentimentalität?“
Fabian überlegte. „Nein, ist okay. Du hast recht, so
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