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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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gelang Reggler nicht, Floyd das Notenlesen beizubringen. Aber wer brauchte schon Noten, wenn er spielen konnte.
    Es gelang Reggler nicht, Floyd die orgelartigen Zwischentöne des Jimi Hendrix reproduzieren zu lassen, aber das war auch sonst nie jemandem auf der Welt gelungen.
    Reggler hatte auch keinerlei Einfluss auf die Art, wie Floyd sang, oder was er sang oder auch nur, was er komponierte.
    Aber Floyd war Regglers Meisterschüler, der Beste, den ein Lehrer sich nur wünschen konnte, ein Geschenk, das die ganze Verpfuschtheit eines unbefriedigten Studiomusikerdaseins in etwas Wahrhaftiges verwandeln konnte, und als Floyd MBMI gegründet hatte und in die höheren Gefilde der Vermarktung aufstieg wie ein Himalaya-Kletterer ohne Sauerstoff und Schuhe, da hatte Reggler auf seinem Bett gesessen und geweint, weil das Herz seines Meisterschülers geschliffen werden würde, bis nichts mehr davon übrig wäre als der grüne, hässliche Staub von Dollarnoten.
    Reggler sitzt auch jetzt wieder auf seinem Bett und streichelt eine der dunkleren seiner vielen Katzen. Ihm gegenüber starrt der tote Frank Zappa diabolisch von einem Plakat herunter.
    Er hat gerade wieder einen dieser Reporter abgewimmelt, die wie die Geier ihre Schnäbel in den noch lebenden Körper des Wüstenwanderers Floyd hackten, um sich verschlingbare Brocken zu sichern. In einem Jahr spätestens wird das alles vorbei sein, so viel weiß Reggler von der Welt. In einem Jahr wird niemand sich mehr interessieren für den Jungen, aus dem etwas Großes hätte werden können, wenn es dem Zauberer nur gelungen wäre, den Zauberlehrling zu bändigen.
     
    Ervin Helprin, der Reporter, saß noch immer draußen in seinem Chrysler.
    Beim Starten des Motors war automatisch das Autoradio wieder angegangen, und die fröhliche Stimme des weiblichen DJs hatte als große Sensation »für nach der Werbung« die »niegelnagelneue, frischfrischfrischgepresste« Single von Mercantile Base Metal Index angekündigt. So wartete Helprin, wartete mit laufendem Motor, während er nachdachte, was nun zu tun sei, und während er hoffte, dass es sich bei der neuen Single nicht wieder nur um einen dieser blödsinnigen und völlig überflüssigen › Goodbye ‹ -Remixes handeln würde, die im Februar den Äther und das Land wie eine Heuschreckenplage überfallen hatten und bis an die Spitze der US-Charts vorgeplündert waren.
    Die Werbung brachte enervierenden Ketchup, die zum Kotzen billigen Sonderangebote eines lokalen Reifenhändlers und die neue umweltfreundliche Version einer Wegwerfnudelsuppe. Dann kam die neue Single. Es war ›Implication Storm‹, nicht mehr und nicht weniger als der zehnte und letzte Song des Ripcage -Albums, und somit mittlerweile die dritte Auskopplung. Rhythmisch und rockig, einer der eingängigsten und somit besten Songs des Albums, in dessen Text es um die Überwindung unüberwindlicher Hemmungen ging. Helprin musste nickend die Fähigkeit des Veröffentlichungsmanagements anerkennen.
    Er beschloss, aus dem Harrisburg-Käfig auszubrechen und dem MBMI -Band-Wagon dorthin zu folgen, wo er gerade Station machte, seines Wissens irgendwo in Wisconsin.
    Er war sowieso nur freier Mitarbeiter beim Rubber Dub Magazine . Wer weiß, wenn er es schaffte, irgendwie an Floyd persönlich heranzukommen und noch mehr solche ausbaubaren Sachen wie die mit den Glocken zutage zu fördern – vielleicht konnte er seine Story dann sogar an den Rolling Stone verkaufen.
    Helprin suchte sich seine hornrandige Sonnenbrille aus dem Handschuhfach, setzte sie auf, ließ den Motor zweimal im Takt von ›Implication Storm‹ aufheulen und gab grinsend Gas.

Der dritte von zwölf Rhythmen
     
    Mit einem warmen Schnurren
    kommt er Motor zum Erliegen.
     
     
    Als Floyd vor dem endlosen Maschenzaun irgendeines Flughafens aus der hinteren Tür eines Wagens steigt, ist er sofort von ein paar Musikgazettenpaparazzis umringt. Blitzlichtwetterleuchten, Mikrofone, Floyd nimmt die Sonnenbrille ab und schaut über die Landebahnen. Aus der Hintertür der anderen Seite steigt Donelli, der lachend die Reporter abwehrt und sich zu Floyd durchkämpft.
    Ein paar Fragen in verschiedensprachig gebrochenem Englisch. Floyd gibt ein paar Antworten, er lächelt. Dann plötzlich der unbegreifliche Lärm. Eine Boeing donnert majestätisch über die hektische Menschleingruppe hinweg aufwärts in den Himmel, der Düsenlärm das tausendstimmige Aufsteigen des verwundeten Kriegsgottes Ares in der Schlacht vor Troja.

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