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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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violett.
    »Wir-kriegen-hier-zum-Teufel-noch mal-keinen-Konzertflügel-rein! Die Türen sind zu klein!«
    Floyd und Utah sind schon halb draußen. »Dann muss eben eine Wand eingerissen werden«, schlägt Floyd vor. »Oder wir machen die Aufnahme woanders.«
    Der Tontechniker bleibt noch eine Minute so stehen, schwer aufgestützt auf das unfassbar teure Synthesizerprodukt aus Nippon. Er schüttelt nur wieder und wieder den Kopf. Jetzt ist er den Tränen nahe. »Eine Wand einreißen«, wiederholt er wie ein Mantra, »eine Wand einreißen. In einem Tonstudio. Gebe der Herr, dass ich heute Nacht im Schlaf sterbe. Dann muss ich morgen keinen von denen mehr erleiden.«
     
    Dies war ein ganz besonderer Abend.
    Floyd Timmen war noch jung, achtzehn Jahre alt, um genau zu sein, und er spielte mit Harvey Ocker und Patrick Dels in dieser Band namens Valley Forge .
    Es war der Abend, an dem Valley Forge zum ersten Mal ein Konzert ganz allein bestreiten sollte, als Hauptact, nicht als Support oder als eine von mehreren Bands eines Line-Ups. Zwar war das hier nur ein kleines Kaff in der Nähe von Harrisburg, dessen Name schon bald wieder in Vergessenheit geriet, aber das spielte keine große Rolle. Es war ja auch gar nicht die Tatsache des ersten Hauptact-Gigs das besondere an diesem Abend – dazu würden noch zu viele weitere folgen, die die Erinnerung an diesen hier mit Gleichförmigkeit tilgen würden.
    Nein, an diesem Abend sollte Floyd eine Lektion über Klang, Publikum und sich selbst erhalten, die er sein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen würde.
    Diese Lektion hatte nichts mit dem Gig an sich zu tun. Der war okay, routiniert genug, um die Landeier zum Trieseln zu bringen, und brachte im Grunde genommen keinen Deut mehr Lampenfieber mit sich als die Supporting Gigs, die sie schon vorher für lokale Größen abgezogen hatten.
    Die Lektion kam vor dem Gig. Während des Soundchecks.
    Der Soundcheck war ein merkwürdig beunruhigendes Chaos.
    Zum ersten Mal wurde eine Anlage nur auf die Instrumente von Valley Forge ausgerichtet, zum ersten Mal kümmerten sich ein paar per Inserat angeheuerte Roadies und ansässige Soundanlagenexperten, die auch wirklich etwas von dem, was sie da taten, verstanden, ganz allein um die Belange von Floyd und seinen Kumpels. Zum ersten Mal überhaupt wurde so etwas wie Wert gelegt auf etwas bislang so Nebensächliches wie Klangverhältnisse und Anteile des akustischen Spektrums.
    Und der Klang war ganz seltsam.
    Sicher, er wurde reguliert und geregelt, und es gab eine Art Tonmeister, der über ein Funkgerät mit einem Kerl hinten am Mischpult kommunizierte – vielleicht als Hommage an die großen Konzerte in großen Hallen, wo man die Entfernung zwischen beiden nicht durch normale Zimmergesprächslautstärke hätte überbrücken können –, aber irgendetwas stimmte nicht. Da war eine unerklärliche Weitschweifigkeit und Beiläufigkeit in den verstärkten Tönen aus Floyds Gitarre, die er so noch nie vorher gehört hatte. Es war sein erster richtiger Soundcheck, Floyd war nervös und alles, und er probierte und bastelte lange an seinem Pickup und seinen eigenen Kabeln und seinen Amps herum, aber nichts wollte ihm so richtig helfen. Pat Dels hatte hinten einen Heidenspaß und hämmerte wild auf seiner Schießbude herum, und auch Harv schien nichts Ungewöhnliches zu bemerken, zupfte brummend Tonleitern auf seinem E-Bass, immer darauf bedacht, dass seine immens langen Haare sich nicht zwischen den Saiten verfingen. Floyd stand irritiert herum und schlenderte auf und ab, blinzelte, blieb hier stehen und dort, spielte Ansätze seiner Lieblingsstücke und ein mellotronisches Schlaflied aus seiner Kindheit, aber alles verhallte und verpappte und verglühte irgendwo im Raum, sprühte nur wie aus einem geplatzten Wasserschlauch richtungslos in alle Richtungen davon, und Floyd hatte schier geplatzte Blutgefäße in den Augen, als er zu dem Tonmeistertypen mit dem Bubbles-Jackson-T-Shirt hinging und sagte: »Das wird nichts so. Das klingt nicht. Das klingt alles scheiße, Mann.«
    Der Typ nickte, ohne ihn anzusehen, so, als wäre so ein mieses Verpuffen von Tönen für ihn der Alltag. »Hm-m, kann ja auch nicht klingen. Ist ja noch kein Dämmstoff da.«
    »Noch kein Dämmstoff? Und wo bleibt der Dämmstoff dann? In einer Stunde geht’s los, bis dahin müssen wir fertig sein!«
    Jetzt sah der Typ Floyd an. In seinen Augen blitzte der überhebliche Schalk eines Fast-Vierzigjährigen. »Die Leute, Junge.

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