HalbEngel
Floyd hebt eine Hand in den Himmel, so hoch es geht, schließt die Augen, fühlt mit begeistertem Gesicht den Vibrationen nach, den Implosionen der Luft, während die anderen sich krümmen, sich die Ohren zuhalten, schreien, vom Wind gezaust umhertorkeln, Gegenstände langsam fallen lassen. Das Flugzeug orkant phongischtend hinweg in das unberührbare Blau. »›Bridge Over Troubled Water‹«, sagt Floyd.
»Was?«, schreit Donelli mit völlig aufgelöstem Haar. »Hast du was gesagt?«
»›Bridge Over Troubled Water‹«, wiederholt Floyd nachsichtig und wischt sich Feuchtigkeit aus den Augen. Er lächelt entrückt, und Donelli grinst jetzt auch.
(Später wird Floyd dir erzählen – und er meint das völlig ernst, er lächelt kein bisschen dabei –, dass er in diesen Momenten das gesamte Arrangement der Coverversion von ›Bridge Over Troubled Water‹ bis ins letzte Detail gehört hat und es dann später im Studio mit Utahs Hilfe nur noch umsetzte. Er wusste, dass diese Single Donelli zum Millionär machen würde.)
Das geht nicht«, sagt Utah. Und noch mal: »Das ist scheiße.« Und als ob das noch nicht reichen würde: »Das hat einfach keinen Zweck.«
»Was soll das heißen?«, bellt der Toningenieur. »Das ist das verdammt teuerste, hypermodernste, nicht-mit-Geld-zu-bezahlendste elektronische Sample-Keyboard, das die Welt je gesehen hat! Die Gelben haben sich diesmal selbst übertroffen, und du erzählst mir hier: ›Es hat keinen Zweck?‹ Hör doch mal hin, verdammte Scheiße, hör doch mal hin. Ich geb dir deinen Konzertflügel so intensiv, dass selbst diesem scheintoten Angeber Pogorelich einer abgehen würde!«
Und der Toningenieur regelt hier und da, verlagert ein paar Skalen, verstärkt ein angefranstes Rauschen und justiert den Anschlag neu. Und dann greift er in die Tasten und – ja, verflucht, das klingt doch genau wie ein Konzertflügel, findest du nicht auch, hey, hör doch mal hin, genau wie ein großer, wie ein ganz großer, von Steinway & Sons oder so.
Utah schüttelt den Kopf. Floyd lehnt im Hintergrund grinsend am Türrahmen.
»Nein-nein-nein«, mäkelt das Mädchen in den abgewetzten Lederhosen, »das ist ja alles ganz schön und gut, aber es klingt überhaupt nicht echt.«
Dem Toningenieur reicht es jetzt. Er ist ein dicker Mann in einem karierten Hemd, er hat einen rauschigen Vollbart und hat schon viele Bands kommen und gehen sehen in seinem Leben, aber so pampig ist ihm noch keine gekommen, erst recht keine Frau. »Das klingt echter als ein echter, du Huhn. Was bildest du dir denn hier ein? Das absolute Gehör, hm?«
Utah will ihm etwas entgegnen, sich seiner scheinkompetenten Massigkeit entgegenstemmen, aber sie wehrt mit den Händen ab, gibt es auf, geht zu Floyd hin und versucht es ihm zu erklären. Aus irgendeinem Grund ist sie ärgerlicherweise den Tränen nahe, sie weiß auch nicht warum, aber es hat jedenfalls nichts mit dem fetten Dummkopf zu tun. Eher mit dem Klang an sich. »Kannst du mich wenigstens verstehen, Floyd? Verstehst du die Sprache, die ich spreche? Ein Konzertflügel – das ... das ist Raum und Hall ... der sich entfaltet, der sich wieder und wieder bricht wie eine Welle an hölzernen Klippen, und da ist ... ein Atem, eine Luft, die zwischen den schwingenden Saiten zirkuliert ... und wenn du ganz nahe rangehst mit dem Ohr oder mit dem Mikro, dann kannst du das Rascheln des Filzes zwischen den Tasten hören, wenn die Tasten losgelassen werden.«
»Na und?«, höhnt der Tontechniker von quer durch den Raum. »Ich sampel dir deinen Wind und deinen Hall, und ich sampel dir auch dein bescheuertes Filzrascheln und kann es sogar noch hervorheben, wenn du darauf so abfährst. Ist kein Problem für dieses Maschinchen hier. Ist alles kein Problem.«
»Ja, und was haben wir dann?«, jammert Utah zurück. »Was hören wir dann? Ein elektronisches Puzzle, in dem die Bindeglieder und Wechselwirkungen abhandengekommen sind. Wie ein Skelett ohne Sehnen. Tot. Tot!«
»Ich verstehe vollkommen, was du meinst«, sagt Floyd leise. »Du hast vollkommen recht. Dieses Ding da klingt, als würde man in eine Blechdose reinfurzen. Komm, lass uns verschwinden hier, wir brauchen einen Konzertflügel für die Aufnahme, einen echten, und Donelli soll dafür sorgen, dass wir einen bekommen, oder er ist nicht mehr unser Manager.«
»Ich hab es Donelli doch auch schon erklärt«, schreit der Tontechniker jetzt aus Leibeskräften und sein Gesicht wird ganz dunkelrot, fast
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