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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Mitschüler. Es ist keine Szene von Gewalt, keine hastigen, brutalen Bewegungen, keine Entgleisung, kein Geschrei, nur die Bedrohlichkeit des Klangs wabert und zersprengt in Zeitlupe.
    Die Schule hat schon Schlimmeres gesehen, wird vier Jahre später sogar erleben müssen, wie ein Messer langsam aus dem Bauch einer Lehrerin gezogen wird, nachdem es viel zu schnell fürs Auge hineingerammt wurde.
    Dennoch reicht dies hier aus.
    Der Schüler Floyd Timmen wird der Schule verwiesen. Er ist siebzehn. Jetzt noch mal auf einer anderen Schule anzufangen, wäre lächerlich, zu spät und vollkommen sinnlos.
    »Damit war es dann vorbei mit der Familie und dem Zuhause«, gibt Mrs. Timmen traurig Auskunft. »Mein Sohn Roddy konnte nicht verstehen, dass Floyd Schule und Ausbildung vollkommen hinschmeißen wollte, um sich nur noch seiner Band zu widmen. Das wissen Sie ja sicher alles. Mr. Wrecker oder Mr. Rocker oder wie er hieß, der Gitarrenlehrer Floyds ...«
    »Reggler. Brian Reggler.«
    »Richtig – Reggler, das war’s. Ein netter Mann, der früher wohl selbst mal Musiker gewesen ist oder so etwas in der Art ...«
    »Studiomusiker. Ein ziemlich gefragter Mann mit großen instrumentellen Fähigkeiten. Aber niemals im Rampenlicht. Nur im Studio, im Hintergrund der Stars.«
    »Na, Sie wissen da natürlich viel besser Bescheid als ich. Dieser Mr. Reggler jedenfalls ist später mal zu uns gekommen, hat uns besucht und Roddy und mir erzählt, dass Floyd sich jetzt abgenabelt hat und sich – wie er es ausdrückte – mit dem Stromkabel seiner elektrischen Gitarre eine neue Nabelschnur gezogen hat.«
    »Und jetzt? Schickt Floyd Geld nach Hause? Gibt es überhaupt noch Kontakt?«
    »Geld brauchen wir nicht. Ende Januar habe ich ihm einen Brief geschrieben, und als Antwort kam so eine Autogrammkarte zurück, mit einem Stempel seines Managements. Aber ich sehe das nicht so tragisch, müssen Sie wissen. Floyd ist jetzt vierundzwanzig Jahre alt, in diesem Alter muss man so sein. Dazu kommt noch, dass er jetzt mitten im Rampenlicht steht. Da hat man andere Dinge im Kopf, muss sich um Wichtigeres kümmern als um die alte Großmutter zu Hause oder den verschlossenen Vater. Floyd muss jetzt seinen Weg gehen, vielleicht muss er ihn auch erst noch finden. Ich weiß, dass es etwas abgeschmackt klingt, aber ich bin überzeugt, dass es dort, wo er jetzt ist, ziemlich einsam werden kann. Ich bin mir sicher, dass er uns nicht vergessen hat. Er ist immer noch mein kleiner Floyd, und wenn er mich braucht, bin ich immer für ihn da. Schreiben Sie das bitte.«
    »Das will ich gerne tun, Mrs. Timmen. Vielen Dank für alles. Und grüßen Sie noch mal ihren Sohn von mir.«
     
    Der Reporter – ein noch sehr junger Mann, der sich noch nie richtig hatte bewähren können – stieg in seinen Chrysler, im Kopf schwingende Glocken, an denen Anthony Quinn schaukelte, und einen zum rechten Winkel gebogenen Lehrer, eine komische Figur mit einem Doonesbury -Gesicht.
    Keine Chance, an Papa Timmen ranzukommen. Der hatte schon besser dotierte Interviews als das hier ausgeschlagen.
    Floyds Ex war auch schon durchgenudelt. Ein Indie-Fanzine hatte sich nicht mal entblödet, eine Titelstory mit ihr zu bringen unter dem Titel »Karen – the Girl who slept with the Angel«.
    Der Reporter brauchte noch einen richtigen Kick in seiner Story. Die Sache mit den Glocken war nicht übel, ließ sich aber nun beim besten Willen nicht allzu brisant in Worte fassen, und die Konfrontation mit dem Lehrer war natürlich kalter Kaffee. Der Reporter erinnerte sich vage daran, Fiodor Gorelny sogar einmal in einem Radiofeature seinen begnadetsten Schüler lobpreisen gehört zu haben. Zwei Stunden später, nachdem er etwas Kaltes gegessen und geduscht hatte, parkte der Reporter seinen Chrysler vor Brian Regglers Hütte.
    Zurückgesetzt, fast mehr ein zusammengenagelter und mit Blechflicken verstärkter Schuppen als ein richtiges Haus, am Rande eines Industriegebiets, das schon viel bessere Tage gesehen hatte. Schwefelfarbene Schwaden wehten über das struppige Anwesen hin, als der Reporter sich durch die festgerostete Maschendrahttür gezwängt hatte. Aus dem Haus oder den angebauten Garagenteilen drangen jaulende, elektrisch verzerrte Geräusche. Das war ein gutes Zeichen, Reggler war zu Hause.
    Das Jaulen verstummte, als der Reporter gegen die fadenscheinige und in sich gewellte Tür hämmerte. Außer dem dumpfen Dröhnen und dem aus hochgelegenen Ventilationsklapprosten dringenden

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