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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Das Publikum. Die sind der Dämmstoff, verstehste?«
    »Das Publikum?«
    »Klar! Klingt alles ganz anders hier, wenn’s erst mal voll ist. Und mach dir keine Sorgen, dass keiner kommt. Hier wird’s auch voll, wenn nur ’ne Kakerlake über die Bühne krabbelt. Hauptsache, auf der Bühne geht was ab.«
    »Das Publikum verändert den Klang der Musik?«
    »Klar! Die ganzen Leiber, Mann, was denkst du, was die mit den Tonschwingungen machen. Das geht zing-zock-beddingg wie in ’nem Flipper, hin und her. So is selbst der fetteste Arsch noch zu ’was nütze.«
    »Und ihr Tontechniker stellt den Sound so ein ...«
    »... dass er sich erst richtig konzentriert, wenn’s voll ist, genau. Vorher is das nur ein elendes Rumgerutsche von Interferenzen, hässliche Sache. Mach dir da mal keine Gedanken drüber, Junge, du musst mir einfach vertrauen. Ich bin seit zwanzig Jahren dabei, und glaub mir: Wenn ich einmal was schlecht aussteuere, dann verscheiß ich’s mir hier für ewig. Also in meinem eigenen Interesse schon nur das Beste für euch.«
    »Das ist irre. Davon hab ich ja noch nie gehört. Das bedeutet ja ... das bedeutet ja, wenn man mal drüber nachdenkt ... dass es theoretisch ’nen Unterschied macht, ob zweihundert Leute kommen oder nur hundert.«
    »Klar!«
    »Ob zweihundert Leute kommen oder nur hundertfünfzig.«
    »Yeah.«
    »Und ob zweihundert Leute kommen oder einhundertneunundneunzig. Wenn man ein wirklich gutes Gehör hat, müsste man das eigentlich hören können.«
    »Nah, das könnte man vielleicht messen, aber sicher nicht hören.«
    »Wenn ich laut genug bin? Wenn ich genau die richtigen Harmonien spiele, die Töne wie Agenten aussende, um das Dunkel da unten zu erkunden? Müsste ich dann nicht jeden Einzelnen von denen da unten erfassen können? Müsste sich der Klang dann nicht verändern, je nachdem, ob die da unten einfach nur gelangweilt heraufschauen und auf irgendwas warten, oder ob sie sich bewegen und tanzen und mitgehen? Müsste nicht jeder meiner Songs dann in jeder anderen Stadt, bei jedem neuen Publikum, völlig und nicht wiedererkennbar anders klingen?«
    »Nah, so extrem ist das nun sicherlich nicht ...«
    »Müsste ich nicht eigentlich mit geschlossenen Augen – allein mit meiner Gitarre als chirurgisch präzisem Instrument – jeden da unten abtasten können, wie viel er wiegt, welche Haarfarbe er hat, was er oder sie für Kleidung anhat, ob sie etwas in der Hand haben, einen Pappbecher voll Bier vielleicht oder nur noch halb voll Bier, ob sie lächeln oder nicht, die Augen geschlossen haben oder nicht, was sie über mich denken, was sie über sich denken? Wäre ich denn dann wirklich in der Lage – wenn ich gut genug hören könnte, die Ohren eines Tieres hätte –, akustisch den freien Raum zwischen den Zuhörern auszuloten und zu berechnen und mir durch Ausfüllung der Leerstelle den noch fehlenden perfekten Zuhörer zu designen, so wie ein Vater ein Kind zeugt?«
    Der Tonmeister starrte den Achtzehnjährigen verständnislos an. »Das meinste doch wohl nich ernst, Junge?«
    Floyd sah ihn eine Weile lang an, dann grinste er verschwörerisch. »’türlich nich, Mann. Denkst du, irgendjemand könnte so was ernst meinen? Ich verarsch dich doch nur.«
    Er wandte sich ab, hing wieder seinen Akkorden nach und ließ den stirngerunzelten Tonexperten alleine vorne am Bühnenrand stehen.
    Wie gesagt: Dies war ein besonderer Abend.
    Für Floyd und den fast vierzigjährigen Tonmeister.
    Denn zum ersten Mal in seinem Leben stand dieser an diesem Abend einem Musiker gegenüber, der eine Vision hatte.
    So aberwitzig sie auch war.
     
    Die Gitarre.
    Gibson-Les-Paul-Custom ’61, ein Original mit Bigsby-Tremolo. Von den nicht im Gibson-Cherry lackierten, sondern dagegen in einem matten Denim-Blue gehaltenen Exemplaren wurden seinerzeit genau elf Exemplare hergestellt. Davon existierten in den achtziger Jahren noch fünf. Eine in der Gibson-Ahnengalerie, zwei in privaten Paraphernalia-Sammlungen, eine war die Drittgitarre des prominenten Leadgitarristen einer chartbekannten Pop-Rock-Band, eine spielte Floyd Timmen.
    Er hatte sie von Brian Reggler bekommen, an seinem fünfzehnten Geburtstag, weil mit dem modischen Supermarkt-Ibanez-Teil, mit dem Floyd bei Reggler angefangen hatte, stimmlich nichts los war. Reggler wiederum hatte die blaue Les in der zweiten Hälfte der Siebziger mehrmals bei Studioaufnahmen mit sogenannten Art-Rock-Ensembles verwendet. Erstanden hatte er sie ’72 oder ’73 bei

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