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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Zischen eines benachbarten Fabrikkomplexes war nichts mehr zu hören.
    »Wer’s’n da?«
    Die Stimme war rau und kam von hinter der Tür. Der Reporter lehnte seine Stirn an das grindige Metall und antwortete.
    »Ervin Helprin vom Rubber Dub Magazine , Mr. Reggler. Ich würd gern kurz mit ihnen über Floyd Timmen sprechen.«
    »Der’s nich da.«
    »Das weiß ich, Mr. Reggler. Ich will ja auch mit Ihnen reden.«
    »Ah, geh heim, geh pissen, Junge.«
    »Mr. Reggler, ich weiß, dass Sie früher mit den Dead im Studio gewesen sind, mit den Electric Prunes und Canned Heat , und dass Sie später zum Umfeld der Magic Band von Captain Beefheart gehörten. Ich hab ’ne Menge Vinyl zu Hause, auf dem Ihr Name steht. Finden Sie nicht auch, dass es mal wieder an der Zeit ist, das den Leuten ins Gedächtnis zurückzuholen?«
    »Ich geb keine Interviews. Das’n Teil von warum ich Background gewesen bin, immer nur Background. Das ’dammte Spotlight brennt dir die Seele raus, immer die Seele.«
    »Nur ein paar Sätze, Mr. Reggler, mit Floyd Timmen als Aufhänger. Mehr Spotlight auf ihn als auf Sie, wenn Sie so wollen.«
    Das Lachen von hinter der Tür klang wie berstende Stahlpfeiler. »Der Junge kriegt genug Spotlight, kriegt viel zu viel davon. Wird’s nich verkraften, wenn Sie mich fragen, is dafür nich geschaffen. Sie brenn’ ihm die Seele raus, ja, ’dammte Schweinerei. Wenn Sie ... wenn Sie was über den Jungen schreiben wolln, was noch keiner je geschriebn hat, dann schreibense, dass er’n ’dammtes Genie is, das isser, Mann, Fuck, so’n Genie hat die Welt noch nich gesehn und is auch gar nicht fertig für. Wie Jesus werdn sie ihn, Mann, ans Kreuz nageln. Wird’s nich verkraften, der arme, arme Junge. Und jetzt geh pissen, Fremder, sonst zieh ich mein’ Abzug durch und schick dich recht zur Hölle. Hau schon ab und mach’s dir selber.«
    Der Reporter sah ein, dass es keinen Sinn mehr hatte, er wandte sich ab.
    Wir aber bleiben stehen, verharren kurz, diffundieren dann lautlos durch das Türmetall und sind drinnen, im dunklen, stinkendheißen Reich des Brian Reggler.
    Acht Katzen haben alles vollgeschissen, mehrere Heizgeneratoren laufen auf Hochtouren, obwohl’s schon Anfang Mai ist und ziemlich angenehm draußen.
    Überall liegen Gitarren, Bongos, Congas, Timpanis und andere Instrumente herum, sogar ein altes Akkordeon. Kater springen vom Bett. Aufgeschlagene Pornomags. Hanfrauch in trüben Strudeln unter der verhängten Decke. Pilzflecken an den Wänden von Postern verdeckt. Clarence »Gatemouth« Brown. Now Howlin’: The Wolf. Blind Lemon Jefferson. Muddy. Auf dem Boden liegt eine doppelhalsige Strat, selbstgesägt und mit echtem Pferdeleim gekleistert.
    Brian Reggler ist noch keine fünfzig, aber seine ausgemergelten, gekrümmten Kniekehlen unterhalb der gepunkteten Boxershorts und seine eingefallenen, bärtigen Wangen lassen ihn eher wie einen Sechzig- oder Siebzigjährigen aussehen.
    Wieder stellt er sich gebeugt über die am Boden liegende Gitarre und erzeugt ein paar jaulende Laute, indem er die nackte linke Ferse längs über die Saiten zieht, während er mit der rechten Hand die Saiten auf den Hals aufschlägt. Sich erst dann erinnernd, dass die Aufnahme wegen der Unterbrechung durch den Schreiberling ohnehin unbrauchbar ist, schlurft er zu seinem ziemlich neuen, aber analogen 16-Spur-Pult, schaltet das Band ab und justiert ein paar Einstellungen neu.
    Dabei erinnert er sich unwillkürlich an den zerzausten Fünfzehnjährigen, der vor acht oder neun Jahren auf seinem argwöhnisch bewachten Grundstück aufgetaucht war, eine kunststofflackierte Angeber-E über der Schulter.
    »Ich will, dass Sie mir beibringen, wie man richtig spielt. Richtig spielt, nicht nur schnell und ohne Fehler. Ich will, dass Sie mir helfen, die Töne rauszuholen, die in diesem Ding hier eingeschlossen sind.«
    Abschätzig hatte er die Gitarre des Jungen betrachtet. »Da ist nich viel eingeschlossen, Junior. N’ bisschen Presspappe vielleicht und’n paar Gussgrate vom Fließband.«
    »Hören Sie, Mann, ich weiß selber, dass das Teil hier Scheiße ist. Aber ich denke, wenn man richtig gut ist, kann man auch auf einer Kindergitarre klasse sein.«
    Jetzt hatte er über die komische Attitüde des Jungen lachen müssen. »Das is ’dammt richtig.«
    »Tja, und da ich vorhabe, Sie für das, was Sie mir beibringen, zu bezahlen, werd ich mir wohl auch in absehbarer Zeit keine bessere leisten können. Wir müssen also damit

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