HalbEngel
einem befreundeten Unter-dem-Ladentisch-Vendor in Lebanon, Tennessee. Der wiederum hatte sie drei Wochen in seinem geheimen Basement gelagert, nachdem er sie von einem schwarzen Rhythm-&-Blues-Gitarrero namens Target Mohaire in Kommission genommen hatte. Mohaire hatte das Brett ’61 direkt ab Lager bestellt und elf oder zwölf Jahre lang in den Staaten Mississippi, Alabama und Tennessee wundbespielt, bevor seine Karriere Anfang der Siebziger – nach einer klimaktischen Session mit Jimmy Page – drogenbedingt den Bach runterging.
Die Les ist mittlerweile abgewetzt und hässlich, der von Insidern als Florida bezeichnete Körperzacken war sogar einmal gesprungen und sehr umständlich, aber sorgfältig wieder gekittet worden. Floyd selber hat einen mattweißen Humbucker-Pickup mit Dogears auf das Schlagbrett geschraubt und die vier Regler angeraut, um auch mit verschwitzter Hand besseren Nuancenzugriff zu haben.
Gegenwärtig werden Gitarren wie Floyds vermehrt im Zuge des Vintage-Booms nachgebaut, aber das ist natürlich nur ein äußerliches Phänomen. Der originale Sound einer Gitarre aus den Sechzigern lässt sich aufgrund des geschrumpften Angebots an wirklich guten Hölzern heutzutage gar nicht mehr reproduzieren. Floyds Les mit einem Body aus amerikanischer Linde, Schlag-, Griffbrett und Hals aus dunklem Ahorn hat einen satten, fast harzigen Klang und einen unnachahmlich scharfen Attack. Bespannt ist das ganze mit D’Addario-Strings aus dem eher schweren Regular Light -Nickel, gespielt wird ketzerischerweise mit den sehr fragilen Shell Thin -Plectren von Fender, deren Verschleiß ungeheuer hoch ist, die Floyd aber schnellere, tänzelnde Bewegungen zwischen den Saiten und sogar entlang der Saite selbst erlauben. Bei den Amps ist Floyd natürlich Traditionalist: Außer Marshall kommt da nichts in Frage. Ein Bluesbreaker-Verzerrerpedal ist ihm von Reggler empfohlen worden und hat sich bewährt. Was Effektboxen angeht, so hat Floyd natürlich vom Phaser bis zum Chorus Pedal schon alles ausprobiert beziehungsweise von Reggler erklärt bekommen, nimmt aber auf Tour im Allgemeinen nur ein Wah-Fuzz und einen niemals in Serie hergestellten Distortion Octaver aus Kanada mit, mit dem man angeschlagene Töne so lange halten und verstärken kann, dass man sie regelrecht abbrechen muss, um sie zu beenden.
Der Klang. (Der Klang, der Klang.)
Wenn er keine Lust hat, mit dir zu sprechen, lässt Floyd seine Les quietschen und röcheln, aufsteigend bejahen oder absinkend Nono-sagen. Wenn er will, dass du gehst, lässt er sie sich räuspern.
Er kann – und das ist jetzt kein Feature des Instruments, das du im Fachgeschäft kaufen kannst – durch gleichzeitiges Am-Atmen-Halten aller sechs Saiten zwischen den Tönen den Jungenchor der St. Martins Cathedral aufscheinen und wieder auseinanderflattern lassen.
Er kann, indem er den Bigsby-Bügel wie einen Maschinengewehrabzug wieder und wieder durchzieht und zurückschnallen lässt und gleichzeitig dem Lindenkörper mit seinen Beckenknochen Stöße versetzt, Angriffswellen von niagara-artigen Hubschraubern über dich hinwegbrausen lassen, bis du dich zu Boden wirfst, weil du die Angreifer zu sehen beginnst.
Er kann den (Rückkopplungs- oder auch nicht-) Nachhall seiner verstärkten Harmonien wie mit einer Tennis-Rückhand abfangen, aufhalten, umdrehen, neu aufbauen und entweder potenzieren oder zwölftönerisch abwandeln.
Er kann einhändig mit der Linken die Töne halten und picken und mit der flachen rechten Hand einen Rhythmus auf die Saiten slappen, der die Gitarre in eine Art tonale Conga verwandelt.
Er kann die Saiten so überspannen und ineinanderziehen, dass die Belastung des gequälten Materials als rauschendes Stöhnen aus den Amplifiern quillt. Wenn dann eine Saite reißt, ist das, als würde man dir einen Schlag versetzen – innen im Kopf.
Er kann – auch ohne Effekt – Töne so lange ohne hörbaren Neuanschlag verweilen und beharren lassen, dass du das Gefühl hast, sie waren schon vor dem Urknall da und werden bis in alle Ewigkeit weiterbestehen. (Was sie auch tun – in deiner Erinnerung. Genau wie verstorbene Freunde.)
Er kann – das aber nur, wenn er einen guten Tag hat – japanische Klöppel-Saiten-Instrumente täuschend echt imitieren, indem er mit dem Gitarrenhals den Raum vor sich auslotet, während er mit abgedämpften Saiten, also ohne Nachhall, die Bespannung zwischen den Mechaniken bezupft und streichelt.
Er kann nicht mit den Zähnen spielen
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