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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Weise eingeschaukelt haben und so etwas wie ein Ist-Zustand definiert werden kann. Jetzt – und in den folgenden Momenten – sind plötzlich Töne zu hören, die eigentlich nicht da sein können, weil niemand sie spielt, Töne, die durch die Überlagerung der Schwingungen entstehen und die allen Gesetzmäßigkeiten der Harmonielehre und der Rhythmik entsprechen, obwohl sie allen Gesetzmäßigkeiten des Materials widersprechen.
    Der Gebildete nennt diesen Effekt kurzerhand »Schwebung«, zuckt die Schultern und geht weiter.
    Aber Floyd Timmen ist kein Gebildeter.
    Nicht, dass er nicht intellektuell in der Lage wäre, das physikalische Zustandekommen dieses Phänomens zu erfassen. (Leute haben es ihm erklärt, und er hat es auch kapiert, aber es hat ihm im Grunde genommen nichts gebracht.) Nein – das physikalische Zustandekommen beschreibt einfach nicht das Ergebnis, das, was da tatsächlich zu hören ist.
    Eine Orgel (wieder etwas Kirchliches, das ist vielleicht kein Zufall – vielleicht haben sich die schlauen Manipulatoren in ihren Ornaten schon von Frühzeit an die Ehrfurcht gebietenden Resultate der Schwebung zunutze gemacht und monopolisiert) ist ein sehr gut geeignetes Instrument, um Schwebungen zu testen und zu erforschen. Sie entstehen immer durch den Gleichklang mehrerer Töne, sie stehen niemals in einem direkten Verhältnis zu den sie erzeugenden Tönen, verhalten sich zu ihnen aber immer harmonisch. Selbst ein Genie unter den Musikern könnte sie niemals berechnen und vorhersagen, es sei denn, er ist zynisch oder besessen genug, sie auswendig zu lernen, was theoretisch möglich ist: ein Elementensystem einer Harmonik, die nichts mit Menschen zu tun hat, die ganz und gar sich selbst gehorcht und genügt.
    Eine Orgel ist, wie gesagt, ein sehr gut geeignetes Instrument, um in diesen Kosmos der Zwischentöne vorzudringen, der mindestens so weit und unerforscht ist wie der astronomische.
    Eine elektrische Gitarre jedoch ist das Instrument auf der Welt, das den Eigenschaften von Glocken am nächsten kommt. In der Hand eines geschickten Primaten wird sie zu einem Forschungsraumschiff namens ELEGIE.
    Floyd wird dir erzählen, wie er eines Tages festgestellt hat, dass es einhundertprozentig unmöglich ist, unharmonische Rückkopplungen und Hallverzerrungen zu erzeugen.
    Die Harmonik, die dem zugrunde liegt, hat natürlich nichts mit der Harmonik der Verkaufs-Charts zu tun. Der Grund, weshalb Mercantile Base Metal Index trotzdem in jenen vertreten sind, liegt in der führenden Hand von Fred The Pope Christie, dem geschickten Marketing von Wayland Donelli und der Abgeklärtheit von Drummer Nick Denning.
    Wenn du wissen willst, worauf MBMI allerdings wirklich aus sind, musst du sie live hören.
     
    (Wobei man natürlich nie vergessen darf, dass MBMI nicht nur aus Floyd Timmen besteht. Utah McAllison spielt mehr Instrumente, als Floyd im Kopf rekapitulieren könnte, ohne dass ihm schwindlig würde. Und Nick Denning kommt vom Jazz. Er ist der Erwachsene in der Band, das Rückgrat, das ein guter Drummer eigentlich immer sein sollte. Er war in den Bands von Don Cherry, Evan Lurie und gehörte zum Umfeld des M-Base-Collective . Er war mit einem von Joe Zawinuls vielen Projekten auf dem alten Kontinent und hat eine Tour lang auch Wayne Shorter begleitet. Er hat alles gesehen und gehört, was ein Rhythmatist sehen und hören kann. Er kennt jeden Break, jeden Shuffle und jede Transition, die man sich denken kann. Nick Denning ist einundvierzig Jahre alt.)
    Als er vor uns die weiße, leicht gekrümmte Treppe hochgeht, trägt er eins von diesen italienischen T-Shirts in der Farbe von Pfirsicheis über einer schwarzen Hose und kämmt sich mit den Händen immer wieder das noch volle schwarze Haar aus der Stirn. Er erzählt uns etwas von dem letzten Album der Beastie Boys und wie sie da aus Standbass und modernen Klavierakkorden soulige Rhythmen rauswringen. Für ihn – sagt er – ist die Next School des urbanen Hip-Hop, die auf den Jazz und den Folk rekurriert und dabei so extrem unterproduziert ist, dass sie komplexer und originaler klingt als alles, was in den gelackten 80ern aufgenommen wurde, steter Quell neuer Freude am Leben. Er nennt diese Next School auch – in Anlehnung an einen ihrer verschrobensten Vertreter – den sympathetical hurricane .
    Jetzt lässt er uns höflich lächelnd vorangehen in sein Laboratory im ersten Stock dieses Gebäudes, einen relativ kleinen sechseckigen Raum, der dominiert wird von

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