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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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einem schier unüberschaubaren, aus Einzelmodulen völlig unterschiedlicher Hersteller zusammengesetzten Drum-Kit, dem Anschein nach eher eine Drum-Landschaft. Irgendwie nestelt er sich da zwischen rauschenden Cymbals hindurch hinein, nimmt Platz, zieht hinter einer titanischen Bassdrum zwei rote Sticks mit elektronischen Abtastköpfen hervor und legt sich ohne Übergang ins Zeug. Verschiedenstimmige Klangkörper fangen an zu bellen, keuchen, rasseln, schleifen, hämmern, dröhnen, hallen, immer wieder legt er einen zweifach gebrochenen Rhythmus als roten Faden ein und prasselt aberwitzig schnell links und rechts von sich herum. Ein von uns vorher übersehener kleiner grauer Monitor im Hintergrund des Raumes beantwortet jeden Stick-Kontakt mit einer Veränderung von Farbe und einer Variation eines bekannt wirkenden Juliakurvenmusters.
    Auf die elektronische Abtastung angesprochen erklärt Nick uns lachend – und kein bisschen in Schweiß geraten –, dass er die nur für visuelle Spielereien benutzt, für die bildnerische Umsetzung von Klang in geometrische Abstrakte. Klang – sagt er – kann eine Präambel sein für Forschungsreisen in mathematisch-kosmische Niemandslande. Der Klang selbst muss aber immer rein sein, muss immer Kontakt sein, Material auf Material. Synthesizerdrums, Samplekits und elektrisch vorjustierbare Beatboxes lehnt er kategorisch ab. Schränkt sich aber gleich darauf wieder ein. »Es kommt dabei darauf an«, sagt er, »was man macht. Natürlich benutzen die meisten Drum’n’Basser Beatboxes, allein schon wegen der unmenschlichen Geschwindigkeit. Aber die Besten kommen davon schon wieder ab und holen sich echte Schlagzeuger. Es gibt eine Authentizität des Schlags, die du nie reproduzieren kannst. Auch der Schlag und der Schlag, den du auf CD hörst, sind nicht mehr derselbe. Dazwischen liegt Zeit, und Zeit klingt mit und verändert die Schwingungsfransen. Das Echte, den echten Schlag, kannst du nur live hören. Deshalb sind wir eine Liveband.«
    Wieder lässt er ein paar präzise Kaskaden über die verschiedenen Felle rollen, synkopiert auf den Tom-Toms, lässt die Snare Drums beben und die Becken golden aufblitzen. Es ist ein erstaunlicher Orkan – oder sympathetical hurricane – der da über uns herniedergeht, aber schon bald verwischt sich alles zu einer einzigen schnellen Bewegung, zu einer Art Herzflimmern, in der nur das Fußpedal der Bassdrum noch so etwas wie Kohärenz vermittelt. Dennings ganzer Körper ist nach vorne zusammengesunken, alle vier voneinander in verschiedenen Rhythmen isolierten Gliedmaßen halten in ihrer Summe Oberkörper und Kopf fast ruhig, die widerspenstigen Haare sind nach vorne gefallen.
    Langsam weichen wir zurück vor dem Irrlichtern der Polyrhythmik, wissen genau, dass Denning uns nicht vermissen wird, denn Denning ist eigentlich nicht mehr hier, nicht mehr in diesem Raum, sondern schraubt sich unaufhaltsam tiefer in einen in unserer Welt nur als weitverstreute Relikte existierenden Muttermund der Zeit.
    Wir haben noch unseren Tequila unten stehen lassen an der weißen, leicht gekrümmten Bar. Also werden wir den Raum los, das Bild Dennings und auch den hypnotischen Monitor, aber der authentische Klang, das Direkt-Jetzt! des Schlagwerkers folgt uns bis nach unten, sogar bis hinaus auf die Veranda.
    Der Barkeeper grinst wissend.
     
    Utah und Floyd liegen gemeinsam unbekleidet im Bett auf dem Rücken, beide nur bis zur Hüfte von leichtem Laken bedeckt, es ist Sommer, August, ihre 40-Gigs-in-40-Städten-US-Tour ist in vollem Gange. Sie liegen da, schauen dem Rauch ihrer Zigaretten zu, der sich hoch zur Hotelzimmerdecke schlängelt, und lauschen den Geräuschen von draußen.
    Zwei Autos fahren unter dem halbgeöffneten Fenster vorbei.
    Floyd: »Ein Japaner und ...«
    Utah: »Ein Japaner und ein kleiner Ford. Der Japaner war silberfarben.«
    Beide lachen, werden wieder ernst, lauschen mit großen Kinderaugen.
    Im Zimmer rechts geht ein alter Mann schnaufend vom Fenster zum Bett.
    Floyd: »Ist er schon barfuß?«
    Utah: »Schwer zu sagen. Er könnte Socken tragen. Nein, er ist barfuß. Pass auf, gleich lässt er sich vorsichtig auf die Matratze runter, pass auf.«
    Floyd: »Nein.«
    Utah: »Doch. Gleich!«
    Floyd: »Nein.«
    Utah: »Doch, doch, doch. Jetzt!«
    Floyd: »Nein. Er steht neben dem Bett, hält sich mit der linken Hand am Stuhl fest, über dessen Lehne sein verschwitztes Jackett hängt, und trinkt aus einem Flachmann. Ich kann es gluckern

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