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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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hören.«
    Utah: »Du lügst! Da gluckert nichts!«
    Floyd: »Es sind die kleinen Bläschen, die von seiner Oberlippe in den Flakon steigen. Er trinkt ihn leer. Jetzt steckt er ihn in die Jacketttasche zurück.«
    Utah: »Du hast recht ...«
    Floyd: »Flachmann leer, das geht schwer. Er wird noch mal runtergehen und sich Nachschub holen.«
    Utah: »In Socken aber nicht.«
    Floyd: »Nein. Hörst du, er zieht sich die Schuhe wieder an.«
    Utah: »Du hast recht. Du bist gnadenlos.«
    Der Mann rechts verlässt schnaufend sein Zimmer und quält sich wieder die ausgetretene Treppe runter in die schäbige Lounge.
    Utah: »Ich liebe den Sommer. Kannst du das Lied hören?«
    Floyd: »Ja. Was Französisches.«
    Utah: »Hm-m. Juliette Gréco. Mindestens vier Nebenstraßen entfernt. Auf Vinyl. Bestimmt eine einsame Frau. Selbstmörderin vielleicht.«
    Floyd: »Sollen wir die Cops rufen?«
    Utah: »Ich bin zu müde.«
    Floyd: »Ich auch. Da, hörst du das?«
    Utah: »Was?«
    Floyd: »Unten. Ein Zimmermädchen streicht Bettlaken glatt. Fiutt-fiutt-fiutt. Und beim Portier ist ein neuer Gast angekommen. Der Alte von nebenan ist immer noch nicht die Treppen ganz runter, das ist traurig.«
    Utah: »Stimmt. Alles ist ziemlich traurig hier. Auch der Gang links. Ich kann das Räuspern und Scharren aus dem Zimmer hören. Und hör die Hunde unten, da kriegen sich glatt zwei in die Wolle, klingen ziemlich mager. Und die Leitungsrohre rauschen wie ... wie ...«
    Floyd: »... die Leitungsrohre rauschen wie Heroinnadeln, die ihren Inhalt in dich ergießen. Als Kind hätte ich vom Prasseln des ganzen Spülwassers in den Wänden nicht einschlafen können. Ich werde langsam taub.«
    Utah: »Das ist kein Wunder. Das werden wir alle, mit jedem Gig mehr. Aber es ist eine gute Zeit.«
    Floyd: »Wir sollten die Traurigkeit dieser Stadt nutzen und übermorgen ein wenig bluesiger sein.«
    Utah: »Gute Idee. Ein bisschen erdiger.«
    Floyd: »Utah?«
    Utah: »Ja?«
    Floyd: »Du hast recht. Ich liebe den Sommer auch.«
     
    Die Idee zu ›Goodbye‹ kam Floyd, als er in einem ansonsten wenig beachtenswerten Dokumentarfilm über afrikanische Steppentiere hörte, wie freilebende Elefanten fast fortwährend ein grollendes, dunkles Brummen ausstoßen. Nicht das viel seltenere Trompeten, mit dem sie so kindgerecht identifiziert werden. Es ist ein massiges, übellauniges Grollen, das tief in ihren Gigantenleibern entsteht und sich von dort irgendwie Bahn bricht.
    Er versuchte, dieses Geräusch auf seiner Gitarre nachzuempfinden, aber es gelang ihm genauso wenig, wie es ihm früher gelungen war, das Singen von Walen angemessen nachzuspielen.
    Andere Musiker, die Autodidakten waren, brachten sich selbst das Spielen anhand von Songs bei, die sie im Radio hörten. Nicht so Floyd, als er noch nicht Regglers Schüler war. Als die Idee von Musik als Mittel zum Überleben in ihm noch größer gewesen war als die tatsächliche Umsetzung.
    Damals hatte er von Tieren gelernt, Vogelstimmen imitiert, wütende Hunde, hungrig sich anschmiegende Katzen, auf seiner einfachen Ibanez.
    Sie waren ihm überlegen, die Tiere, und das war irgendwie gut so.
    Die Idee zu ›Goodbye‹ hatte er schon mit vierzehn.
     
    Eine Archäologie des Lärms:
    Es begann mit dem größten Lärm von allen.
    The Big Bang . Der Urknall.
    Man könnte jetzt philosophisch werden – populärphilosophisch – und fragen, ob ein Urknall, der von niemandem gehört werden kann, weil es noch niemanden gibt, überhaupt ein Geräusch macht.
    Die Antwort ist: Oh ja.
    Oh ja.
    Danach erst mal nur Stille.
    Unser Fokus verengt sich auf diesen einen Planeten hier.
    Und hör mal hin: eine Milliarde zellulärer Explosionen in der Sekunde, ein vielfarbiges Rauschen als ein Betttuch, auf dem alles Spätere sich gründet.
    Vulkane bersten, speien explodierend Magma in den Himmel.
    Erdbeben durchbrausen den Untergrund.
    Donnerrollen faucht über die dunkelblauen Himmel der Savannen.
    Trommeln werden geschlagen, lauter Gesang.
    Baulärm. Mauern werden hochgezogen, Türme spiralen sich zwischen benetzende Wolken. Stampfende Takte werden geschlagen auf den Galeeren der Versklavung. Sonnenförmige Gongs erzittern unter der Wucht umwickelter Keulen in den Morgenlanden. Hörner werden geblasen. Das Prasseln von Flammen springt von Dach zu Dach. Schreiende Kehlen, so laut, bis Blut kommt. Die Stöße des Widders am Tor erschüttern das ganze Gemäuer. Glocken läuten Sturm.
    Weiterhin die Welt. Vulkane, Erdbeben, Donnerrollen,

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