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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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würde dafür sorgen, dass bei ihnen nichts anderes mehr war als die finstere Doppelsonne seiner Augengläser.
    So war das immer, wenn ein Kontrakt geschlossen worden war. Es war ein Verlust von Wahrheit für einen Mehrgewinn an Kunst. Ein Opfer an den einzig wahrhaftigen Daseinswert der Welt.
    So segnete The Pope den Rest der abgefuckten Schöpfung.
     
     
    21. September.
    Sie trafen sich beim Frühstück, so früh morgens wie bei Künstlern möglich, gegen zehn, in einem kleinen Bistro mit frankokanadischer Bedienung. Die Sonne schien so durch das Fenster, dass Floyd und Halloran während des Gesprächs öfters ihre Augen mit der Hand beschatten mussten. The Pope , der Einzige von ihnen, der eine Sonnenbrille trug, saß vorsorglich mit dem Rücken zum Licht.
    Sie lernten sich kennen, die Band und der Producer. Es wurde schnell klar, dass die Band in dieser Besetzung noch nicht lange zusammen war, genau genommen war Nick Denning erst seit drei Wochen an Bord. Als es zum von The Pope vorgeschlagenen Austausch von Biographien, Vorlieben und Zielsetzungen kam, konnte jeder noch allerlei Neues über die anderen erfahren.
    Für The Pope kristallisierte sich ein interessantes Spannungsverhältnis innerhalb der Band heraus. Denning und Drood waren zwei Antipoden, der Drummer ein Profi seit über zwanzig Jahren und mit allen Wassern des Musikerdaseins getauft, der Bassist eher ein charmantes Talent, das vorher nur in einer erfolglosen Band namens Hayfever gespielt hatte und davon träumte, wie Denning zu werden. Der eigentliche Knüller jedoch waren das Mädchen und der Sänger. Sie wollten beide dasselbe – alles, was man mit Musik erreichen konnte, also alles –, aber sie fuhren dabei zwei Strategien, die gegensätzlicher kaum sein konnten. Utah hatte den Ehrgeiz, so viele unterschiedliche Instrumente wie möglich spielen zu können, um Kontrolle über alle nur denkbaren Klangfacetten zu gewinnen, und mittlerweile konnte sie schon mit vierzehn verschiedenen ziemlich gut umgehen. Floyd dagegen verfolgte die Vision, alle denkbaren Klangfacetten dieser Welt – und noch anderer Welten – mit nur einem einzigen Instrument abbilden zu lernen, nämlich einer unheimlichen alten Les Paul Gibson, die nicht Vintage, sondern original war. The Pope hatte noch niemals vorher einen jungen Gitarristen getroffen, der sich standhaft weigerte, eine andere Gitarre auch nur anzufassen, und sei es selbst im Studio. Das schränkte die Möglichkeiten bei Aufnahmen natürlich ein, bot allerdings die Verfahrensweise an, aus der Variation von Gegebenheiten Spannung zu schöpfen. Ein klangliches Konzept, das gut in ein Rooster passte, in dem wieder mehr Wert auf unsaubere Details gelegt wurde und Bombast ziemlich verpönt war.
    Zur Bandstruktur gehörte noch die Tatsache, dass Drood und das Mädchen Autodidakten waren – wobei das Mädchen natürlich von ein paar früheren Lovern aufgeschnappt hatte, was an Lernenswertem abfiel – und Denning und Floyd nicht. Denning hatte bei den Großen gelernt, beim legendären Don Cherry und dem M-Base Collective mit Brendan Ross, Floyd dagegen war instruiert worden – und wurde es immer noch – von einem dubiosen Guru aus dem Captain Beefheart-Umfeld, Brian Reggler, von dem selbst The Pope noch nie etwas gehört hatte. Aber definitiv hatte der junge weiße Mittelschichtler Floyd Timmen von diesem Reggler den Blues der Alten in die Seele gebrannt bekommen, denn Floyd sprach fast nur in Floskeln, sprach über Junior Wells und Elmore James und den Wolf Burnett, ohne danach gefragt worden zu sein. Es war ein absurdes Team, ein abstraktes Quartett. The Pope konnte die Widersprüche und Reibungslinien, die zwischen ihnen gespannt waren, über dem mit Donutkrümeln bedeckten Tisch förmlich glitzern sehen. Er sah aber auch, dass Sletvik genau das richtige Gespür gehabt hatte. In einer Branche, in der es leider viel zu vielen jungen Leuten nur darum ging, entweder so schnell wie möglich reich und berühmt und beliebt zu werden oder so schnell wie möglich einfach nur anders zu sein als der Rest von den Fernbedienungszombies ringsum, war es ein seltenes Mirakel, drei Leute an einem Tisch sitzen zu sehen, denen es um die Musik an sich ging. Und Drood, na ja – Drood war die Erdung und damit ebenfalls wichtig für’s Gesamtkonzept.
    Man einigte sich darauf, dass an diesem Tag dem Pope erst mal das Repertoire der Band vorgespielt werden sollte. Da das Studio bereits gemietet war, das Taxameter also ohnehin

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