HalbEngel
was drauf eingebildet, noch nie in den Charts vertreten gewesen zu sein. Ich hab immer gedacht, das beweist, dass ich gut bin.«
»Qualität kann dir keiner nehmen, Fred. Das ist das Einzige, was bleibt. Wenn du am Ende in deiner eigenen Badewanne verreckst, weil deine Pumpe nicht mehr mitmacht, ist die Qualität deiner Lebzeiten das Einzige, was vor dem Großen Richter für dich aussagt.«
The Pope lächelte wieder. »Ich hab noch nicht ja gesagt, Mel. Der ganze organisatorische Scheiß mit der Vertragsaussteigerei muss auf der Haben-Seite ein ordentliches Gegengewicht haben.«
»Ach, mach dir doch keine Sorgen um den ganzen Papierkram. Ich hab Wayland Donelli angeheuert, um sich um die Mercantile zu kümmern. Der wird das übernehmen. Der könnte dich sogar aus der Erdanziehungskraft raushandeln.«
»Haben die Jungs denn schon ’ne Single? Oder war das eben der Song, den du als Single vorgesehen hast?«
»Nein, ›Legless Bird‹ wird frühestens die zweite Single, wenn das ganze Album eingeschlagen ist. Es gibt noch einen anderen Song in ihrem Repertoire, der förmlich danach schreit, Vorbote in den Ohren der Welt zu werden. Floyd!« – er hatte wieder die Speak-Taste gedrückt – »Floyd, das war ganz prima so. Gebt mir jetzt bitte noch ein schönes ›Goodbye‹, ja? Seid so gut.«
»Mel?« Der Sänger blickte ein wenig hilflos auf die große Scheibe vor ihm, unsicher, wo genau er hinschauen sollte, denn bei dieser Beleuchtung war das Glas wie ein Spiegel. Er schien sich dafür zu entscheiden, seinem eigenen Spiegelbild ins Gesicht zu sehen. »Mel, was soll das? Wir sind hier doch nicht auf einem Vorspielen oder so. Wir kommen uns hier langsam vor wie eine Schülerband bei einem Wettbewerb. Warum können wir nicht endlich ›Ten Candles‹ aufnehmen? Mel? Mel?«
»Floyd. Ich schenk euch jetzt mal reinen Wein ein, okay? Neben mir steht Fred The Pope Christie und überlegt sich ganz ernsthaft, ob er nicht vielleicht euer Album produzieren will, und wenn ihr ihn jetzt wegblast, ihn umhaut, ihm mit ›Goodbye‹ den schärfsten Come-On seines Lebens verpasst, dann wird er es tun, dann wird er euch produzieren.«
Grinsend hielt Sletvik die Sprechverbindung intakt, sodass deutlich zu hören war, wie der Sänger, Floyd, sich bei den anderen erkundigte, wer Pope Christie sei, und wie das Mädchen ihm begeistert erklärte, The Pope sei so was Ähnliches wie Gott. Sletvik entschuldigte die Unkenntnis des Sängers bei Christie mit der Bemerkung: »Floyd kommt aus Harrisburg. Das ist so weit weg vom Schuss, da kommt nicht mal der Weihnachtsmann hin.« Aber The Pope war gar nicht beleidigt. Er war der Mann hinter den Spiegeln. Es hätte ihn eher erschreckt, wenn jedermann ihn gekannt hätte. Schließlich hatten das Mädchen und der Drummer dem Sänger und dem Bassisten eindringlich genug klar gemacht, um was es jetzt ging, und so legten sie denn los. Das eingängige Riff wurde von Floyd vorgelegt, und dann fiel ein dampfbetriebener, splinteriger Retro-Bluesrock über die beiden Männer im Abnahmeraum her.
»Ein Song, den Led Zeppelin gern geschrieben hätten«, lachte Sletvik The Pope ins Ohr. »Den hätte sogar Helen Keller als todsicheren Hit erkannt.«
The Pope verzog nur das Gesicht. Er fand die Art, wie der Schlagzeuger mit der Rhythmusgitarre konform ging, geradezu reaktionär. Aber gerade das machte ihm in diesem Augenblick klar, wie sehr diese Band ihn brauchte, wollte sie nicht in ihrem angelernten und angehäuften Stützkorsett aus Konventionen zugrunde gehen.
»Du sagtest, Donelli kümmert sich um den ganzen Vertragsscheiß?«, schrie The Pope über den Lärm hinweg Mel Sletvik zu.
»Donelli lauert auf solchen Vertragsscheiß wie ein Hund auf den Postmann«, schrie dieser grienend zurück.
»Wie lange haben wir das Studio?«
»Fünfzehn Tage insgesamt, jetzt noch vierzehn. Das wird reichen. Mehr als zehn, zwölf Songs haben die noch gar nicht.«
»Zehn Songs«, legte The Pope fest. In seinem Hirn begannen bereits die ersten logistischen Planungen. Er beobachtete hinter seinen schwarzen Gläsern jede Bewegung der vier Menschen im Studio, so als wäre er ein Maler, der detaillierte anatomische Skizzen anfertigen müsse. Gleichzeitig begannen die hochmütigen Gesichter der fünf Verlierer von Lizard Soul zu verblassen.
Bald würde er sich nicht einmal mehr an die Gesichter seiner Mädchen oder seiner Eltern erinnern können.
Bald wäre da nichts mehr außer Floyd und den drei anderen, und er
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