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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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herum rotiert jetzt die Welt. Das Leben ist ein bonbonbunter Abenteuerspielplatz geworden, ein Warenhauskatalog der begrenzten Unmöglichkeiten. Kids in weit entfernten, noch unbekannten Ländern hören Ripcage und schütteln die fremdartig frisierten Köpfe im Takt.
    Aber das ist nicht das, was Floyd Timmen wollte, dessen bin ich mir jetzt sicher. Vielleicht wollte dieser Mann immer nur ein paar Leute, die ihm wirklich gut zuhören, nicht die Abertausende, deren Jubel seine Botschaften verschlingt.
    Wir alle wissen, was aus Kurt Cobain geworden ist, dessen Karriere die Elemente Talent und Hype etwa in demselben Gradmaß enthielt, wie das bei Floyd Timmen auch der Fall ist, und wir können nur hoffen, dass Floyd einen besseren Weg finden wird, mit den Tumulten des Rampenlichts fertigzuwerden. Ich erinnere mich an ein Interview, dass ich mit Floyd geführt habe, als er noch bei Valley Forge spielte, und als er sagte: »Wir hier in Harrisburg sind unser ganzes Leben lang verstrahlt und beschissen worden. Wahrscheinlich werden wir alle am Ende elend krepieren, aber bis dahin müssen wir einfach versuchen – koste es, was es wolle –, etwas zu bewegen.«
    Das ist dir schon gelungen, Floyd: Du bewegst unsere Herzen.
    Du bewegst unsere Herzen.
    Aber wir wollen keine neue Märtyrer mehr. Das ist jetzt völlig out. Gib uns lieber den coolen, arroganten Abzocker, du siehst doch, dass wir solche auch liebhaben. Gib uns das wirre Genie, den Verrückten, den Verweigerer, den Kommerzialisierten, gib uns den Snob, den Modegecken, den Coverversionen-Abnudler, den Berufsjugendlichen, den Skandalinszenierer, den ausgebrannten Ex-Star oder den Musiker, der untalentiert Schauspieler in miesen Filmen wird. Heirate als Nächstes ein Supermodel oder ein silikongefülltes Pornosternchen, leiste dir eine Wagenflotte und Immobilien, einen eigenen Vergnügungspark und einen Privatflieger. Lass dich auf Preisverleihungen feiern, hundertmal im Jahr. Schüttle die Hände des Präsidenten, spende Wechselgeld für gute Zwecke, lass dich lachend mit Obdachlosen fotografieren, gib krebskranken Landminenopfern Autogramme.
    Du wirst sehen, wir werden dich auch so verehren, mehr, als wenn du für uns stirbst. Mach’s gut, Floyd, mach deinen Weg, durcheile vergoldete Straßen, ›Goodbye‹, nimm alles nicht so schwer, after all: it’s only show-business, und wir geben lieber Geld aus für gute Laune als für die Predigten des Moralisten. Du siehst also, es lohnt nicht, dieses »koste es, was es wolle«, es lohnt nicht, sich für uns aufzureiben.
    Du hast das schon ganz richtig beschrieben: Wir sind immer dort, wo das Geld ist.
    Oder etwa nicht?
     
     
    »Immer die Wahrheit«
    - Ein Interview mit Floyd Timmen, Mercantile Base Metal Index -
     
    von Ervin Helprin
     
    Selbst der Mai vermag es nicht, den Susquehanna River mit einer Farbe zu erfüllen, die lebendig wirkt. Dieser Fluss fließt im Herzen aller, die in Harrisburg aufgewachsen sind. Ein träger, ölig schillernder Infarkt, eine geschmolzene Katatonie, die sich zwischen Industriegebieten und Flughafen, Interstate und Highways hindurchwindet ohne Erinnerung an Quelle, ohne Hoffnung auf Meer. Hier werden Vögel geboren, die keine Beine haben, weil ihr Landen auf der Erde ihren Tod bedeuten würde. Hier werden Grabgesänge geschmiedet auf grazile Tiere und stupide Menschen, die Farbe Grau gebiert sich hier in allem. Ein Echo von Verstrahlung liegt in der harschen Luft. Dies ist ein Ort, an dem elektrische Gitarren das rhythmische Stampfen von Fabrikkomplexen imitieren und brüchige menschliche Stimmen aus Leibeskräften dagegen anschreien, bis sie Blut husten müssen. Die Heimat von Mercantile Base Metal Index .
    Jedes einzelne dieser vier Worte wie als Brandeisen geprägt. Hier ist die Basis, die Schwermetallindustrie, hier werden Maßstäbe gesetzt, und alles vor und neben und weit weg von Harrisburg ist ein einziger, noch feindseligerer Ort, an dem die eigene Haut zu Markte getragen wird. Die Welt ist eine Hölle von Menschenhand. Und Floyd Timmen, 25, barfuß, mit ausgefransten Black Jeans und einem sandfarbenen Sweatshirt mit Netzstruktur, ist ihr elektrischer Troubadour.
    Die Band befindet sich gerade mitten in einer Pause zwischen zwei Touren. Im März und im April waren es 38 Gigs in 32 Städten, vom 9. Juni an bis zum 21. August wird es dann noch mal vierzig Gigs geben, in vierzig verschiedenen Städten, alle in Amerika. Übersee steht noch an, am 2. Mai ist die dritte

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