HalbEngel
Schulaulen und kleinen, verrauchten Clubs aufgetreten ist und mit ›Kissin’ With Fangs‹ eine saubere kleine Abrock-Hymne für die Harrisburger Jugendszene im Repertoire hatte. (Da fällt mir übrigens ein: Ich habe Valley Forge neulich gesehen. Byron Hogue gibt wirklich sein Bestes, Floyd zu imitieren. Er singt auch vielleicht weniger hysterisch und mit besser modulierter Stimme. Die Gitarre ist für ihn jedoch nur ein Brett mit Drähten drauf. Schade. Aber ich schweife ab.) Vorbei die Zeiten, als MBMI in einer monatelangen Tour de Force im Südosten Pennsylvanias jede öffentliche Örtlichkeit wundgespielt haben, aus der man sie nicht sofort rausgeschmissen hat. (Wer von euch erinnert sich noch an den legendären Auftritt im großen Freibad von Ephrata, der dann in eine wirklich nasse Party umschlug? Da wurden im Wasser mehr Kinder gezeugt als sonst in Ephrata in einem ganzen Monat. Ich war dabei, du auch? Wo ist dein diesbezügliches T-Shirt als Beweis?) Vorbei die Zeiten, in denen man Floyd noch lachen sehen konnte, die Mähne spontan schütteln oder einfach die Gitarre zur Seite legen und mit einem hübschen Mädchen ein Tänzchen wagen. Heute muss er bedeutungsvoll dreinschauen, die Leidensschmerzen einer Kreuzigung schon im Gesicht, den Kopf gesenkt von der schweren Rückenlast der Beflügelung. Heute ist Brian Milman nicht mehr dabei, den ich neulich bei einem Gig seiner neuen Band Doublespunk mit einem auf den Kopf geschnallten Baby-Klotopf aus rotem Plastik keinen einzigen Schlag habe verpassen sehen. Stattdessen haben wir Nick Denning bekommen, dessen Schlagzahl kein Messcomputer erfassen kann, dessen Rhythmik aber auch keiner begreift, wahrscheinlich am wenigsten er selbst. Oh ja, MBMI sind jetzt groß, sind jetzt wichtig, sind jetzt wer, sie werden vom Papst persönlich produziert (ich habe den Pope mal ohne Sonnenbrille gesehen: Seine Augen sind blass und wässrig wie die eines Grottenlurches). Sie treten in landesweiten Fernsehshows auf und machen dort garantiert nichts kaputt (früher nannte man so was stubenrein). Und habe ich Oliver Stone schon erwähnt? Bestimmt habe ich Oliver Natural Born Wall Street Stone schon erwähnt. Kreiiisch! Sie sind soooo groß, soooo süß, sooooo bedeutsam geworden.
Ich hab sie in Philadelphia getroffen, als sie dort gerade dabei waren, eine 1500-Leute-Halle sound-zu-checken. Das war nicht so einfach, denn sie sind jetzt von breitschultrigen Anzugträgern umgeben, die Pferdeschwänze tragen und Sonnenbrillen wie The Pope und die mit Handies miteinander reden. Das sind Leute, die, wenn du ihnen erzählst, du kommst aus Harrisburg, zu dir sagen: Verpiss dich, Provinzratte.
Sexy Utah führt jetzt hier das Zepter. Sie stammt aus Grand Rapids, Michigan, geht schon nicht mehr ganz so taufrisch auf die dreißig zu, spielt aber mehr Instrumente gleichzeitig als die Southside-Feuerwehrkapelle.
Sexy Utah findet die ›Goodbye‹-Remixes sexy, wie sie mir erzählt, während um uns her die Roadies ein Beleuchtungsgerüst hochziehen, unter dem ein ganzer Supermarkt Platz hätte, und das ganz alleine MBMI gehört. Einige hangeln wie Gibbons ohne Sicherung unter der Decke, und wir sind mitten drin im Affenkäfig. »Mir gefällt die Art, wie das sägende Gitarrenriff in dieses leicht steril wirkende Gewummere reinfährt«, erzählt sie. »Das ist, als würden zwei Schiffe ineinanderrammen. Ein hochmodernes Atom-U-Boot in der Form eines eingeölten Dildos und eine muschelüberwucherte spanische Galeone aus dem 15. Jahrhundert oder früher.« »Floyds Les-Paul-Gibson ist also wie etwas Uraltes?« »Ja, natürlich. Auch der Klang ist irgendwie archaisch. Wie wenn Saurier brüllen. Die sind auch ausgestorben, ›Goodbye, we just don’t love you anymore‹.« »Aber Saurier sind heutzutage doch noch sehr beliebt.« »Das war mal«, lacht sie, »auf dem Höhepunkt der Jurassic Park -Mode. Mittlerweile gehen sie doch auch schon wieder jedem auf die Nerven.«
Ich versuche, ein paar Worte mit Nick Denning zu erhaschen, der weiter hinten seine ausladende Schießbude in den Raumklang zu integrieren versucht, aber Denning lehnt ziemlich unwirsch jedes Interview während des Soundchecks ab (»Das hier ist wichtig, Mädchen!«), und so finde ich mich bei Utah wieder. »Wie stimmt die Chemie so in der Band?«, frage ich sie. »Man hat doch den Eindruck, dass ihr alle ziemlich unterschiedliche musikalische Hintergründe habt.« »Das ist richtig«, antwortet Utah und unterbricht sogar mal
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