HalbEngel
Trucks über ihren zerbrechlichen Leib gepflügt.
Er hielt den Wagen an. Er ging zu Fuß. Die Menschen hier unterhielten sich in einer fremdartig harten Sprache, aber wenn man sie ansprach, antworteten sie auf Englisch. Liebenswürdige Schlangen.
Wie hatte das alles passieren können?
In einem Anfall von Sarkasmus hatte er der Band einen Begriff aus der Börsensprache zum Namen gegeben, den er irgendwo mal aufgeschnappt hatte. Er hatte von vorneherein ein Abgrenzungszeichen setzen wollen gegen die Diktatur des Marktes, hatte signalisieren wollen, dass er sich der Problematik bewusst war.
Er war dennoch darauf hereingefallen wie der größte Idiot unter der Sonne.
Langsam, Zug um Zug, hatte ihn das System vereinnahmt. Kaute auf ihm herum, zermürbte ihn wie ein Vampir und würde ihn irgendwann als fette Karikatur seiner selbst wieder ausspucken.
Er musste an Elvis denken, den er als Musiker nie sonderlich geschätzt hatte. Aber es stimmte: Da war eine beunruhigende Andersartigkeit an dem ganz jungen Elvis gewesen, eine vor Anspannung zitternde Geilheit, eine aggressive Androgynität, die wie ein Schock war und direkt zurückführte zu den vergessenen Tänzen der Frühzeit. Dann kam der Erfolg, kam Hollywood, kam der Reichtum, der Glitter, die Pestilenz des Luxus.
Man brauchte keine Atombombe, um eine Revolution zu stoppen.
Man brauchte ihr nur Geld zu geben. Sehr viel Geld.
Mit einem Gesicht, das unterernährt aussah, ließ er ein aufwendiges klassisches Konzert über sich ergehen, zu dem ihn irgendein einflussreiches Arschloch, das ihn kennenlernen und sich mit ihm zusammen fotografieren lassen wollte, eingeladen hatte.
Auf dem gülden kalligraphierten Programmzettel standen Belanglosigkeiten vom jungen Beethoven, von Carl Maria von Weber und glücklicherweise wenigstens noch ein wenig Debussy. Der Pianist Jeremy Menuhin, wohl ein Sohn vom großen Yehudi, sah echt wie ein Pinguin aus, als er sich in seinem steifen Frack verbeugte. Die Sonate f-moll op. 2 Nr 1, das Quintett für Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott Es-Dur op. 16 und das Quintett für Klarinette und Streichquartett B-Dur op. 34 dudelten süßlich vorüber und weckten Assoziationen an unreife Verklemmtheit, zwanghaftes Zurückhalten des Stuhldrangs und eine penetrante Selbstbestätigung der nutz- und leblosen Upper Class. Eigentlich war es genau das: Das war gar keine Musik, sondern ein Gesellschaftsspiel, eine Regelbestätigung, ein gegenseitiges sich versichern, dass die Welt noch im Lot ist. Also eine Lüge.
Kurz bevor Floyd den Drang, einen von den Pinguinen vom Stuhl zu schubsen, nicht mehr hätte unterdrücken können, verließ er den Saal. Er saß immer noch in Deutschland fest, und niemand war mehr bei ihm.
Auf geradezu schon verklärte Weise fühlte er sich zerstört und betrogen. Und als er dem Dieb seines Lebens die Maske vom Gesicht riss, erkannte er dahinter sich selbst.
8000 Kilometer von zu Hause entfernt
wäre Floyd Timmen
tatsächlich
beinahe
bereit gewesen
es Kurt Cobain gleichzutun.
Doch er begegnete Engel.
Engel war
auch
8000 Kilometer von zu Hause entfernt.
Der achte von zwölf Rhythmen
Oklahomas Himmel hatte die Farbe neugeborener Augen.
a-one
Wieder weit weg von zu Hause.
Diesmal aber selbst gewählt.
Floyd war vorher noch nie in Oklahoma gewesen, hatte noch nicht einmal eine konkrete Vorstellung von diesem Land gehabt. Aber dann war der Oktober gekommen, und von allen Seiten schossen grinsende Fressen auf ihn zu, die ihm ins Gesicht bellten, dass MBMI für den und den Award nominiert worden war und sich wahrscheinlich bald zu der und der Preisverleihung in Schale werfen musste, und da hatte er es einfach nicht mehr ausgehalten. Wie ein Bittsteller war er vor Wayland Donelli auf dem zigarettenascheübersäten Teppich gekrochen und hatte um eine Woche Freiheit gefleht (»Ich habe alles gemacht wie versprochen, ich war sogar drüben in Übersee für
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