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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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gefällt, das er wiederholt, mit dem er herumspielt (ein Hund mit einem Stöckchen), er wirft eine Angelrute aus ins unergründete Azur (kein Hochseefischer – er ist nicht an einem Stuhl festgeschnallt), so lässt er sich hinaus- und hinabreißen, als etwas anbeißt, etwas, das zuerst noch ein Fremder ist, dann sein Liebhaber wird, dann er selbst.
    Der Song heißt ›No‹, die Töne sinken überwiegend ab. Gleichzeitig mit den Worten bilden die Finger wie auf Telegrafendrähten aufeinander bezügliche Botschaften aus.
     
    I don’t want
    I don’t want to live
    I don’t want to live
    like you do
     
    Mehrschlag, Zwischenruder, weiter.
     
    I don’t see
    I don’t see the point
    I don’t see the point
    in being cruel
     
    Schläfrig, fast gelangweilt, aber vor verhaltener Wut zitternd.
    Jetzt die Brücke. Baut sich langsam auf.
     
    You maim me
    You hurt me
     
    Entlädt sich. Anschlag, harter.
     
    Noooooooooooooooooooooooooooooooo
    I digress
    I refuse
    I disobey
    I’ll never be in conform
     
    Okay, die erste Hälfte. Schrei zurückgenommen, Sammlung. Verhaltenes, gehaltenes Klingen. Orientiert sich an den welken Blättern, die kaum über dem Boden sich drehen. Mach Zeitlupe draus. Bau wieder auf.
    Von vorne. Sich der Möglichkeit der Wucht des Refrains von vorneherein bewusst, diese nutzend. Das zweite Stockwerk, Geschoss Nummer zwei.
    Langsam jetzt. Vorsicht.
     
    I don’t care
     
    Die Lücke jetzt zu groß, der Rückschritt zum Anfang zu rückschrittlich. Das zweite Stockwerk, Geschoss Nummer zwei, also eine neue Aussicht. Lass sehen.
    Noch mal.
     
    I don’t care (No)
     
    Gut so. Das No ein knistriger Chor verbogener Stahlsaiten, kann später im Studio mit Hall und Stimmchor vervielfacht werden. Gut so. Geschoss Nummer zwei noch mal von Anfang an und los.
     
    I don’t care (No)
    I don’t care for you (No)
    I don’t care for you
    and your pity pretty reasons for doom
     
    Mehrschlag, Zwischenruder, Walzer.
     
    I won’t stay (No)
    I won’t stay in here (No)
    I won’t stay in here
    and become a little convict like you
     
    Ja. Ja. Komm.
     
    You can’t hold me
    You can’t hold me back
     
    Komm, komm, jetzt.
     
    Noooooooooooooooooooooooooooooooo
     
    Schrei, Schrei, Schrei!
     
    I digress
    I refuse
    I disobey
    I’ll never be part of the norm
     
    Jetzt Raum für Ideen, für Variationen, eine freie Seite für Notizen. Spiel, denn niemand kontrolliert dich hier, bejahe die Lust. Es gibt in dem Moment, wo du improvisierst, keine Verantwortung außer der einen: Improvisiere gut. Falls du in Panik gerätst, reite auf der Panik, reite auf ihr in das Tal.
    Es war jetzt etwa zwanzig Minuten, nachdem er sich niedergesetzt hatte.
    Der Song, von dem er beim Niedersetzen noch nichts geahnt hatte, war fertig. Er brauchte sich den Text nicht niederzuschreiben, der Text war mit jeder einzelnen Klangfarbe des Liedes verbunden wie ein gesticktes Muster mit dem Stoff. Die Klangfarben hatte er im Kopf, wie eine Tätowierung würde er sie ewig dort tragen. Seine Gitarre hatte die Klangfarben im Körper.
    Er spürte den Stolz eines Vaters.
     
     
    a-one, two, three
    Engel hatte recht gehabt.
    Keine Kompromisse war der einzige Weg.
    Floyd war einen merkwürdigen Weg gegangen, um das herauszufinden.
    Es gibt diese Phase in deinem Leben, da ist »Keine Kompromisse« das selbstverständlichste auf der ganzen Welt. Du bist jung, stark, der Tod und das Alter scheinen unmöglich, weit entfernt, nicht zu dir gehörend. Du bist noch unvernarbt vom Standhalten der Strömungen des Daseins. Auf dich selbst gestellt, wirst du schnell zurückgeworfen auf deine tatsächliche Kleinheit und Schwäche. Es hilft, wenn du einen Traum träumst. Es hilft, wenn dieser Traum niemals vollständig erfüllt werden kann. Erfüllung der Träume bedeutet Absterben von Energie.
    Von Wut und Abscheu und dem Wunsch getrieben, ein Komet zu werden, hatte der ganz junge Floyd sich die Gitarre umgeschnallt wie ein Soldat sein Gewehr und war losgezogen – nein: losgestürmt – in den freien Markt. Dann war er Komet geworden, hatte innerhalb nur zweier Jahre sein Dasein beschleunigt auf eine Größenordnung, die einem das Fleisch in Fetzen von den Knochen reißen musste. Er hatte gelernt, sich geschmeidig zu bewegen. Er war durchgetaucht durch die Geldspeicherberge des Millionärs und hatte auf der anderen Seite das große Weiß vorgefunden: unbedrucktes Papier, oder die Unendlichkeit der eigenen Möglichkeiten. Jenseits des freien Marktes.
    Es

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