Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
von dem Floyd noch nie was gehört hatte. Der Name hatte irgendwas mit Western zu tun. Der Mann war ganz okay, ein bisschen ältlich und konservativ, eher wie ein Geschäftsmann als wie ein Musiker wirkend, aber man konnte mit ihm reden. Er hatte immerhin eine Schwarze geheiratet.
    Auf der Fahrt ins Hotel ließ Floyd sich ein paar Stücke von dem Western-Fuzzi vorspielen. Es waren peinliche Versatzstücke der 70er-Stones. Die Arrangements waren unglaublich bieder und leblos und ließen keinerlei Raum für Färbungen, und immer, wenn der Sänger seine faktisch nicht vorhandene Stimme irgendwie aufladen wollte, führte er sie in ein hässliches, kropfiges Röhren über, das nur bewirkte, dass der Zuhörer sich dauernd räuspern musste. Mitten im Lied schaltete Floyd das Tape ab und schaute lieber weiter aus dem Fenster.
    Er hatte auch in Paris ein paar französische Superstars gehört, die ziemlich erbärmliche Kopien von amerikanischen Versatzstücken waren, die aber wenigstens noch ein gewisses eigenständiges Flair – und wenn es nur ein leichter chansonesker Einschlag war – mit einbrachten. Deutschland jedoch, so bedeutend es wirtschaftlich als Käufermarkt war, schien in künstlerischer Hinsicht verloren zu sein.
    Im selben Maße, wie Floyd die Beschränktheiten und Irrwege der europäischen Musik kennenlernte, schwand sein Respekt vor dem Kontinent dahin. Gleichzeitig aber suchte er so etwas wie Respekt vor der Musik seiner Heimat, der sogenannten Neuen Welt, er suchte ihn in sich und fand auch diesbezüglich nichts. Es war erschreckend. Es war wie eine Falle.
    Floyd versuchte, den Punkt in seiner Lebensgeschichte ausfindig zu machen, von dem aus alles schiefgelaufen war.
    Zum zweiten Mal auf dieser Tournee wühlte er in den Echos seiner Vergangenheit herum.
    Er war ein Kind gewesen, das dazu verdammt gewesen war, in einer hässlichen Stadt in einer hässlichen Welt ein hässliches Leben mit einem hässlichen Job und einer möglichst hübschen Familie zu erdulden. Von Anfang an war die Musik ihm eigentlich nur ein Werkzeug gewesen, diesen Käfig aufzubrechen. Eine sichere Methode, um reich und berühmt zu werden und da rauszukommen.
    Das hatte sich geändert. Die Musik hatte ein Eigenleben entwickelt. Ihre unbegrenzten Möglichkeiten hatten begonnen, ihn zu dominieren, ihn herumzuscheuchen. Er hatte sich an Brian Reggler gewandt. Kein Fehler. Natürliche Konsequenz. Reggler dann hatte ihm die vom Selbstmitleid verklebten Augen geöffnet. Das war ein Wunder gewesen, kein Fehler. Valley Forge . Viele winzige Fehler und Unbeträchtlichkeiten, die allerdings Teil eines ebenso natürlichen Lernprozesses waren. N-n. Auch hier lief noch nichts schief. Dann MBMI . Die erste Version, mit dem anderen Brian, Milman, an den Drums. Hatte er hier den Fehler gemacht? Hatte er hier die Unschuld einer Good Time eingetauscht gegen ein akribisches Feilen an einem weltenzerschmetternden Gesamtkunstwerk? War es falsch gewesen, vom Kleinen aus das Große ins Auge zu fassen und das Große erreichen zu wollen?
    Nein. Nein, das war korrekt gewesen. Er hatte Möglichkeiten aufscheinen gesehen. Er hatte die Tür gesehen. Er wollte hindurch. Er ging hindurch.
    MBMI , die zweite Version. Utah und Nick. Eine Art Bergfestung, von der aus man alles erreichen und erobern konnte. Kein Fehler. Kein Fehler. Vielmehr das folgerichtige Erkunden der phantastischen Welt hinter der Tür.
    Und dann war der Fehler passiert. Dann hatte er es sich aus der Hand nehmen lassen. Floyd zuckte jetzt regelrecht zusammen, als ihn die Durchschaubarkeit seines eigenen Dilemmas wie ein Peitschenknall traf.
    Der Vertrag mit der Firma.
    Die manipulierten Fotos.
    Die Post-Production im Studio, die nicht mehr seine eigene war.
    Die T-Shirts, die Poster, das ganze Brimborium.
    Die vielen, vielen Leute.
    Händeschütteln, Interviews, Mikros, Blitzlichter, Videokameras, das Lächeln.
    All das hatte nichts mehr mit der Musik an sich zu tun. Auch diese Reise hier, diese Tournee, Tourneen überhaupt – was hatten sie mit Musik zu tun, was brachten sie der Musik? Was brachten sie ihm, außer Geld und Ruhm? Damit konnte er doch gar nichts mehr anfangen. Er brauchte doch seine Musik. Und er hatte seine Musik verraten.
    Er hatte auch Karen verraten. Ziemlich genau in dem Moment, wo er begonnen hatte, sich zu prostituieren, hatte er auch seine Frau verloren. Sie war das Opfer eines Unfalls, den er verschuldet hatte. Er selbst war böse grinsend am Steuer eines blank polierten

Weitere Kostenlose Bücher