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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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euch!«), und der hatte ihm dann schließlich kopfschüttelnd nachgegeben. Torkelig hatte Floyd den Finger irgendwo draufgelegt auf die Landkarte und war nach Oklahoma geflogen. Oklahoma im Oktober.
    Eine Woche, um alles klarzukriegen. Das eigene Leben, die Zukunft. Die Sache mit Engel. Eine Woche ohne die anderen.
    Zufällige, die Floyd in dieser Woche durch die westlichen Ausläufer der Ouachita Mountains wandern sahen, konnten ihn für einen Gesandten des Mittelalters halten, jenes Mittelalters, das Robert Taylor mit glosendem Technicolor in Amerikas Bewusstsein gelanzt hatte. Floyd hatte eine Laute auf seinem Rücken und einen merkwürdigen Kasten, in dem vielleicht Flöten gehängt waren. In Wirklichkeit waren es seine Les und ein tragbarer, netzunabhängiger Verstärker. Abgesehen von einem kleinen Proviantrucksack hatte er sonst nichts dabei.
    Die Hänge waren übersät mit dem gelben Laub gefallenen Sommers, und in der Nacht machte er ein Feuer oder nicht und schlief mit dem Kopf in den Netzen von Wurzeln.
    Tagsüber lief er ohne Ziel und staunte. Manchmal spielte er Gitarre mit den Vögeln, einmal lief er mit einem Fisch mit im Bachstrom und setzte das Schimmern der Oberflächen in gleißende Schall-Wellen um.
    Es ist alles da. Ein großer, rußiger Topf voller Klänge. Ich tauche meine Hand hinein, und klebrig von Klanggeflechten ziehe ich sie wieder aus dem Topf hervor. In ihr eine Melodie.
    Jemand hat mich mal gefragt, warum ich keine Noten schreibe. Ich antwortete, weil sie nicht klingen.
    Noten haben nichts mit Musik zu tun. Eine Fotografie zum Beispiel hat auch nur bedingt etwas mit dem Menschen zu tun, der auf ihr abgebildet ist, aber immerhin gibt sie seine Oberfläche wieder und kann Fremden dazu dienen, diesen Menschen zu erkennen.
    Eine Note jedoch sagt nichts. Gut, sie gibt eine Tonhöhe an, aber ein Ton schwingt doch, oder etwa nicht? Kein Ton bleibt jemals er selbst, wenn man lange genug zuhört. Wie ein Lebewesen altert er. Wie ein Lebewesen stirbt er und ist tot und ist doch unsterblich in Erinnerung. Gibt eine Note all dies wieder? Gut, sie kann die Länge eines Tons angeben. Aber die Länge in Bezug zu was? Was bedeutet eine Viertelnote, eine Achtelnote? Das Jahr auf einem anderen Planeten dauert auch nicht 365 Tage.
    Sieh dir eine Note an. Ein schwarzer Klecks mit einem Stängel dran. Wie eine Schwarzkirsche sieht sie aus.
    Sehen so Töne aus?
    Ja, wenn Noten bunt wären ... und schillernd ... wenn sie zucken würden ... und sich bewegen ... wenn sie sich miteinander vermengen würden, anstatt wie auf Wäscheleinen aufgereiht untereinander zu hängen ... dann kämen sie der Sache vielleicht ein ganz klein wenig näher.
    Aber so ...
    ... sind sie wie die Kadaver von Tönen. Sorgfältig nebeneinandergesteckt wie die kranke und das Leben beleidigende Kollektion eines Käfersammlers.
    Ich glaube nicht an Noten.
    Ich glaube an den Rausch in mir.
     
    a-two
    Er saß auf einem noch stürzenden Baumstamm und arbeitete mit ernster Kindermiene an einem Lied.
    Ein neuer Song, vielleicht für’s nächste Album. Er hatte keine Gedanken, wofür.
    Seine Finger berührten die Saiten, wie man eine Katze streichelt.
    Die Frage, was zuerst kommt beim Komponieren, der Text oder die Melodie, entlarvt den Fragenden als jemanden, der noch niemals komponiert hat.
    Beides kommt zusammen, immer.
    So wie sich bei einem Baby, das gerade geboren wird, die beiden wichtigsten Fragen (Ist es gesund? Ist es ein Junge oder ein Mädchen?) schon längst im Verborgenen entschieden haben und in einem einzigen leuchtenden Augenblick für die da draußen beantwortet werden, so gibt es auch keine Trennung zwischen Text und Musik. Sie gehen gemeinsam, sind eins. Es gibt zwar immer wieder Musiker, die sagen, dass für sie der Text genauso wichtig ist wie die Musik, aber die sollten dann doch lieber Gedichte schreiben. In dem Moment, wo ich mich entscheide, Musik zu machen, muss die Musik das Wichtigste sein. Nicht irgendein Reim, nicht irgendeine Erwartung und schon gar kein kalkulierter Verkauf.
    Ich mache Musik. Ich mache jetzt wirklich Musik, habe mich entschieden.
    Das heißt, der Text ist einfach. Das heißt, der Text ist nichts weiter als ein Stoff, von dem die Töne widerhallen.
    Und die Töne – sie sind alle schon da. Ich kann sie spüren, wenn ich meine Fingerabdrücke auf die kühlen Saiten lege.
    Er fing an zu spielen, etwa fünf Minuten. Klimpert so herum, bis er etwas aufschnappt (eine Schwalbe überm Gras), das ihm

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