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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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cyborg-mäßige Röhren und Schläuche aus den Mündern hingen; Luke konnte das nicht ab. In so einer Art Gerichtsverhandlung hatte er den Meisterschützen noch mal getroffen. Hatte sich herausgestellt, dass das Auto, über das Greg gefahren war, dem Vollarsch nicht mal gehört hatte. Er war nur einfach der Besitzer irgendeines anderen Autos, das durch Skater mal ’nen derben Lackschaden hatte hinnehmen müssen, und da er ’ne Waffe hatte, was ja kein Problem war, hatte er der Welt ein Beispiel gegeben. Mann, manchmal knirschte Luke nachts mit den Zähnen und wünschte sich beim Skaten in der Stadt, der Vollarsch würde jetzt in diesem weißen Bett mit der Gummiunterlage liegen und dem direkten Blick ausweichen und trotzdem den Coolen markieren und wie eine alte Klatschgans alles wissen wollen, was draußen vorging. Wenn der Vollarsch wenigstens richtig getroffen hätte, wäre vielleicht alles nicht so verdammt kompliziert.
    Jedenfalls waren der Hin- und Heimweg zur und von der Schule jetzt für Luke ’ne echte Plage. Eine halbe Stunde lang nur beschissenes Ödland in sengender Sonne, der Kiesweg und die Felder unmöglich zu skaten und selbst zum Radfahren zu holperig, da bekam man nur Rühreier von. Und niemand mehr, mit dem man locker über das Ödland drüberquatschen konnte. Außer Greg hatte keins der anderen Kids auch nur annähernd denselben Weg nach Hause wie Luke. Die anderen waren fast alle was Besseres, kamen aus intakten Familien, hatten Hunde und Gärten und so’n Tuntenscheiß. Einige von ihnen strengten sich sogar in der Schule an und meldeten sich andauernd, um irgendwelchen Scheiß zu verzapfen. Luke verstand überhaupt nicht, warum er eigentlich noch zur Schule gehen musste. »Nicht für die Schule gehst du da hin, sondern um für’s Leben was zu lernen!«, keifte sein Vater immer, und jetzt schon seit Wochen versuchte Luke angestrengt herauszufinden, was die Schule eigentlich mit dem Leben zu tun hatte. Oder was sie ihm beibringen konnte, das im Leben von Nutzen war. Oder was sie ihm beibringen konnte, das wertvoller war fürs Leben als das Leben selbst, draußen, beim Skaten in der City. Er versuchte es, versuchte es wirklich, aber der einzige Anhaltspunkt, den er bisher herausbekommen hatte, war, dass man in der Schule nur dann Erfolg haben konnte und beliebt war, wenn man ein glatter Bückling wurde wie sein Vater. Irgendwo da lag wohl die Verbindung zum Erwachsensein, zum abgefuckten Ernst des Lebens.
    Wenn Erwachsensein bedeutete, Hemd und Krawatte zu tragen, dann würde Luke eh nie erwachsen werden. Unter Hemd und Krawatte konnte man die Tattoos nicht sehen, und wozu hatte er sie dann. Sie waren doch mehr Teil von ihm als irgendwas sonst.
     
     
    Am ersten Tag, als er das Zeug im Wind flattern sah, dachte er nicht groß drüber nach. Das war auf dem Nachhauseweg. Irgendwas hing da wie Lametta von einem der großen Überlandleitungskabel runter, zu hoch, als dass man’s hätte erreichen können. Manchmal hingen an Schnürsenkeln zusammengebundene Schuhe da oben, oder auch mal’n Drachen oder’n Luftballon. Einmal hatten Luke und Greg an so einem Kabel sogar mal eine Radkappe hängen gefunden, die wohl ein Scherzbold da oben angebracht hatte, um eins von diesen total echten UFO-Fotos zu machen. Wenn man so darüber nachdachte, gab’s eigentlich ’ne ganze Menge Müll, der so da oben rumhängen konnte. Das Meiste davon fiel vom Himmel oder wurde vom heißen Wind raufgeweht.
    Aber Luke dachte nicht drüber nach.
    Die folgenden beiden Tage sah er das Zeug natürlich wieder. Es wurde zu einem wiedererkennbaren Bestandteil des ansonsten völlig eintönigen Schulwegs. Es baumelte da oben in weitausholenden Wellen, wenn Wind ging, und hing schlaff, wenn’s flautig war. Aber immer glitzerte es in der Sonne, obwohl es nicht silbern war oder so was, eher dunkel, braun, ein braun schimmerndes Band von faszinierender Leichtigkeit, das täglich ein bisschen anders aussah, weil der Wind es immer in neuen Umschwüngen ums Kabel warf oder eine oder zwei Umdrehungen weit davon befreite.
    Am vierten Tag ging Luke endlich mal nahe genug heran, um das Zeug definitiv als Audiokassettenband erkennen zu können, und sofort interessierte er sich auch schon nicht mehr weiter dafür. Irgendjemand, vielleicht sogar in der Schule, hatte eine Kassette zerrissen und entrollt, und der Wind hatte das Band dann in die Überlandleitung getragen. Was soll’s? Nichts Besonderes.
    Die Hitze wurde von Tag zu Tag noch

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