Halbgeist: Roman
vorbei.
Kontakt zu Gibb aufzunehmen dauerte eine Minute, aber als er erst einmal hergestellt war und ich Gibb darüber informierte, dass meine Vorgesetzten auf die Frage, wer mich angefordert habe, seinen Namen genannt hätten, lieferte er mir exakt die Antwort, mit der ich bereits gerechnet hatte. »Das ist lächerlich, Counselor. Ich habe vor dieser Sache noch nie von Ihnen gehört. Und wenn ich im Vorhinein über Ihren Werdegang informiert gewesen wäre, dann hätte ich jemand anderes an Ihrer Stelle angefordert. Sind Sie sicher, dass Sie die Botschaft nicht versehentlich verstümmelt haben?«
»Ich verstümmele nicht.«
»Dann lügt jemand.«
Gibb hatte mich in mancherlei Hinsicht belogen, aber in diesem Punkt hatte ich keinen Grund, ihn zu verdächtigen. Für ihn sprang nichts dabei heraus, wenn er mich bei dieser Kleinigkeit hinters Licht führte. Auch für Lastogne fiel mir kein passendes Motiv ein. Außerdem war schon viel zu viel Wind darum gemacht worden, dass diese beiden die Einzigen waren, die direkten Zugriff auf das Kommunikationssystem hatten, auf dass ich bloß nicht auf die Idee käme, jemand anderes in Erwägung zu ziehen. Damit blieben mehrere Möglichkeiten, eine so unbefriedigend wie die andere: Nummer eins, Bringen hatte gelogen, um mir eine gefährliche und politisch heikle Angelegenheit in den Schoß zu werfen; Nummer zwei, Gibb und Lastogne hatten aus Gründen gelogen, die zu subtil waren, als dass ich sie erfassen könnte; und Nummer drei, Gibb und Lastogne hatten keine so umfassende Kontrolle über die ausgehenden Nachrichten, wie sie es sich einbildeten.
Die dritte Möglichkeit war die mit der weitaus höchsten Wahrscheinlichkeit.
Aber auf dieser Station führte mich das nur zurück zu den KIquellen.
Die Unberührbaren unter meinen Verdächtigen.
Ich fühlte das mittlerweile vertraute unerträgliche Prickeln eines Impulses, dem ich nicht nachkommen konnte. Etwas, das ich tun wollte, das ich aber nicht identifizieren konnte.
Ich deaktivierte den Zischschirm, woraufhin Lassiter prompt fragte: »Was jetzt?«
»Runter«, sagte ich.
Wir sanken in die Tiefe. Bald verloren sich die reichhaltigen Details des Überwuchses, die aus der Nähe so deutlich zu erkennen waren, und wichen einem vagen grauen Einerlei, das hier und dort, wo die Sonnen sich in Feuchtigkeitsansammlungen auf den Ranken fingen, aufleuchtete. Die Wolken sahen viel flockiger und dunkler aus, verwirbelte Nebelschwaden und Schlechtwetterfronten. Aus dieser Entfernung erinnerten sie an Tentakel, die lediglich zu blind waren zu erkennen, dass wir nach wie vor außer Reichweite waren. Alle paar Sekunden erhob sich ein Drache aus dem Dunst, wirbelte die Wolken mit einem einzigen Flügelschlag auf, nur um gleich darauf wieder herabzustürzen und unter der Oberfläche zu verschwinden, als wäre er voll und ganz damit zufrieden, gesehen worden zu sein.
»Wir sollten hier bleiben«, sagte Lassiter. »Wenn wir noch viel weiter runtergehen, wird die Luft so schwer, dass der Gleiter vielleicht nicht mehr hochkommt.«
Mir fiel auf, dass ich meine Finger in die Sitzfläche gebohrt hatte. »Aber da, wo wir jetzt sind, sind wir sicher?«
»Können wir noch tausend Meter weiter runtergehen? Möglich. Wir können sogar in die Wolkendecke vorstoßen. Es gibt keine klare Demarkationslinie. Aber je tiefer wir gehen, desto mehr nimmt unsere Sicherheit ab, und das ist genau die Höhe, auf der ich mich gerade noch wohlfühle.«
»Dann machen Sie es sich ein bisschen unbehaglicher«, sagte ich.
Sie sah skeptisch aus, wies aber den Gleiter an, tieferzugehen.
Die Geschwindigkeit unseres Sinkflugs einzuschätzen war schwer. Von Zeit zu Zeit flogen kleinere Dunststreifen an uns vorbei, aber die Wolken schienen nicht näher zu kommen.
Nach einer oder zwei Minuten brach Lassiter den Sinkflug ab. »Tiefer bin ich noch nie gegangen.«
Meine Finger schmerzten. »Ist auch niemand sonst je tiefergegangen?«
»Wir hatten ein paar Draufgänger hier. Die waren tausend Meter tiefer. Ein oder zwei hatten Probleme, da wieder rauszukommen.«
»Irgendwelche Verluste?«
»Nicht durch ein Versagen des Gleiters, nein.«
»Wodurch dann?«
»Ich hätte sagen sollen, keinen einzigen in den zwei Jahren, seit wir hier sind, bis Santiago. Bedenkt man, unter welchen Bedingungen wir arbeiten, können wir von Glück reden.«
»Oder von einem fähigen Management.«
Lassiters Lippen wurden fahl. »Ja, klar, Mr. Gibb ist gut darin, eine Maschine am Laufen zu
Weitere Kostenlose Bücher