Halbgeist: Roman
Vielleicht gab es nichts Besseres zu sagen als das, was Lassiter so sprachgewandt grummelte, als sie sich die rosarote Flüssigkeit von den Wangen rieb: »Scheiße.«
Ehe ich entschied, was ich als Nächstes tun sollte, rief ich den Hangar, um herauszufinden, ob Bringen schon etwas hatte hören lassen. Er hatte eine Antwort in einer invertierten Zufallscodierung geschickt, deren Schlüssel in einer Phrase bestand, die nur für Angelegenheiten der höchsten Geheimhaltungsstufe benutzt wurde. Ich glaube nicht, dass wir sie außerhalb der Ausbildungseinheiten mehr als ein- oder zweimal benutzt haben, und obwohl die komplizierte Verschlüsselung die Rückübersetzung keine dreißig Sekunden verzögerte, empfand ich diese Vorgehensweise als Stachel in meinem Fleisch. Immerhin konnte die Verschlüsselung hier niemandem außer mir und den KIquellen Ärger bereiten, und sich einzubilden, irgendeine Codierung wäre imstande, etwas wirkungsvoll vor den KIquellen zu verbergen, war allenfalls eine Übung auf dem Gebiet der Selbsttäuschung.
Als das Signal entschlüsselt war, lieferte es mir ein Bild von Bringen, der in einer Haltung an seinem Schreibtisch saß, die entweder auf eine schwere Depression oder auf extremen Schlafentzug schließen ließ. Ich tippte auf Letzteres, da seine Wangen voller Bartstoppeln und diverse Haarsträhnen spiralförmig herabgestürzt waren und so gar nicht zu all den anderen passen wollten. Nicht nur, dass mir sein sichtlich schlechter Tag ein Gefühl der Befriedigung verschaffte; ich vergeudete sogar ein paar Sekunden damit, über die mögliche Existenz eines Algorithmus zu sinnieren, der die Schlafzyklen verschiedener Planeten nahm und mir unter Bezugnahme auf die kosmische Distanz zu Bringen die vorteilhaftesten Zeitpunkte nannte, um ihn mit dringenden Nachrichten zu belasten und seinen Tagesrhythmus ernsthaft zu stören. Sollte man solch ein Wunderwerk irgendwo kaufen können, dann wäre ich die Erste in der Schlange.
Abgesehen davon, dass ich - wie ich mich plötzlich erinnerte - ihn falsch eingeschätzt hatte.
»Andrea. Guten Morgen oder was, zum Teufel, bei Ihnen gerade ist. Ich hoffe, Sie machen Fortschritte. Bezüglich Ihrer Fragen: Zunächst, Ihre Anwesenheit wurde sowohl von Botschafter Gibb als auch von den KIquellen an Bord der Station gefordert. Gibb hat persönlich in einer zweiten Transmission angefragt, die nach dem von Lastogne verschickten Original gesendet wurde. Ich habe das Holo gesehen; er hat mit Nachdruck auf diesem Punkt bestanden. Wenn er das jetzt nicht mehr zugeben will, dann hat er vielleicht seine Meinung geändert. Die KIquellen haben Sie ebenfalls angefordert und behauptet, sie respektierten Ihre Befähigung und wüssten, Sie würden sich des Problems, ich zitiere, ›auf einzigartig persönliche Weise annehmen‹. Wenn die das jetzt auch nicht mehr zugeben, dann bin ich genauso schlau wie Sie.
Lastogne ist ein anderes Thema. Er wird in den Missionsakten geführt. Der Eintrag bestätigt seine Position als Stellvertreter von Gibb, aber darüber hinaus liefert er keinerlei Informationen. Wenn es eine Biografie oder einen Lebenslauf gibt, so bin ich nicht befugt, ihn mir anzusehen. Das Gleiche gilt für meine Vorgesetzten. Ich habe versucht, mehr zu erfahren, und wurde von Leuten, deren Namen Ihnen bekannt sein dürften, aufgefordert, die Finger davon zu lassen.« Seine Schultern sackten ein wenig tiefer. »Ich sage Ihnen, Andrea, das letzte Mal, dass mir etwas auch nur entfernt Ähnliches begegnet ist, hat sich herausgestellt, dass man das betreffende Individuum mit Fug und Recht als personifizierten souveränen Staat bezeichnen konnte, und der Name dieses Kerls reichte nicht, um Türen so hart zuknallen zu lassen, wie der von Ihrem Freund. Wer immer Lastogne ist, er steht weit über der Verfassung, und wenn man versucht, Sie einzuschüchtern, sollten Sie vielleicht zuhören. Er sollte jedenfalls nicht im Zentrum Ihrer Ermittlungen stehen.«
Ich hasse es, wenn man mir sagt, ich solle wegsehen oder, wie in diesem Fall, wer im Zentrum meiner Ermittlungen zu stehen habe und wer nicht.
Bringen zögerte. »Wir brauchen einen Schuldigen, Andrea. Jemanden, bei dem es sich nicht um die KIquellen und nicht um Peyrin Lastogne handelt. Und wir brauchen ihn schnell. Ich gehe davon aus, dass man Ihnen die unzufriedenen Mitarbeiter vor Ort genannt hat? Können Sie ...«
Ich schaltete die Botschaft mitten im Satz ab. Warum auch nicht? Der relevante Teil war bereits
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