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Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam-Troy Castro
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abzuschütteln.
    Mein erster Impuls war, Lastogne erneut zu rufen und zu betteln. Aber das würde mir nicht weiterhelfen. Nichts würde mir weiterhelfen. Selbst wenn die KIquellen das Habitat sofort wieder öffnen würden, hatten Lastogne und seine Leute keinen Gleiter, mit dem sie mich früh genug hätten erreichen können, um noch irgendetwas zu bewirken. Die Porrinyards mochten, soweit ich es beurteilen konnte, inzwischen bereits tot sein, und mein letzter Hoffnungsschimmer, Gibb, saß in Hängemattenstadt fest und hatte gar keine Möglichkeit, eine Rettungsmission zu rüsten, selbst wenn er gewollt hätte.
    In jedem inhaltlich bedeutsamen Sinn des Wortes war ich bereits tot.
    Andererseits war ich in jedem hiesigen Sinn des Wortes schon längst tot.
    Sosehr ich die Notwendigkeit verabscheute, ich musste klettern.
    Doch auch das war ein nutzloses Unterfangen. Über mir gab es keinen sichereren Ort, den zu erklettern sich gelohnt hätte. Dort oben war ich bereits gewesen. Ich wusste, in der Höhe wartete nicht mehr auf mich als ein noch blutigeres Ende. Aber der eine Charakterzug, den ich auf Basis meiner Erfahrungen auf Bocai entwickelt und an all den schrecklichen Orten, an die es mich seither verschlagen hatte, sorgsam gehegt hatte, umfasste die völlige Unfähigkeit, nichts zu tun. Vor die Wahl gestellt, schlug ich stets den Weg nach oben ein, selbst dann, wenn es oben noch schlimmer war.
    Ich war schon halb auf dem Weg zurück zum Überwuchs, als der erste Spritzer Mannasaft meine Stirn traf, mir in die Augen drang und mich zwang, mit dem Handrücken für Durchblick zu sorgen. Die Brachiatoren arbeiteten sich derweil zu den Ranken vor, an denen meine Leine vertäut war. Die Porrinyards hatten ein Luftgeschütz benutzt, um den Anker durch etliche Generationen des Überwuchses zu treiben, und sie hatten mir versichert, dass das Seil stabil genug befestigt sei, das Mehrfache meines Gewichts zu tragen. Aber das würde es nicht mehr, wenn es gewaltsam aus seiner Verankerung gerissen wurde. Das würde es nicht mehr, sollten die Brachiatoren sich entschließen, jede einzelne Ranke zwischen ihnen und dem Haken am Ende der Leine durchzuschneiden. Die Chancen standen gut, dass sie gar nicht erst so weit vorstoßen mussten, ehe das Seil einfach nachgab. Die Ranken zwischen Haken und Oberfläche des Überwuchses waren immerhin ein Teil des Gesamtgefüges und trugen entsprechend zu seiner Stabilität bei. Dieses Gefüge zu schwächen mochte mehr als ausreichend sein, um meinen wackeligen Halt in dieser Welt zunichtezumachen. Und ich würde es erst merken, wenn ich bereits stürzte.
    Kein Zweifel. Das wäre eine gottverdammt saublöde Art zu sterben.
    Der Saft fing an, stetiger zu fließen. Ein Spritzer traf mich mitten ins Gesicht. Ich leckte mir die Lippen ab und stellte fest, dass er bitterer war als der abscheulichste ungesüßte Tee im Universum. Eine erworbene Geschmacksempfindung, zugegeben, aber unter den gegenwärtigen Umständen bereute ich, dass ich die fermentierte Version nie gekostet hatte.
    Meine Arme ermüdeten.
    Ich zog mich eine weitere Armlänge hinauf und keuchte, als etwas Klebriges gegen meine Schulter prallte. Ich blickte hinab und sah ein kurzes Stück einer Ranke, das kreiselnd in die Tiefe fiel.
    »Oh, Juje! Das kann doch nur ein Witz sein.«
    Mannasaft ergoss sich über das Tau und strömte über meine Hände.
    Je größer das Loch wurde, das die Brachiatoren in das Gehölz an der Verankerung meiner Leine schlugen, desto deutlicher zeigte sich, dass das Loch im Gefüge nicht annähernd so gefährlich war wie der austretende Pflanzensaft. Der Überwuchs blutete, und die Leine, die exakt im Zentrum des Schadens verankert war, war zum natürlichen Ablaufkanal für die Schmiere geworden. Meine Hände hatten gerade erst einen ersten Vorgeschmack erlebt. Noch eine oder zwei Sekunden, und die Leine wäre als Kletterhilfe noch etwa so hilfreich wie eine ölverschmierte Stange.
    Kaum hatte ich mir diesen Umstand bewusst gemacht, da entfaltete der Schmierfilm auch schon seine Magie. Ich glitt einen vollen Meter abwärts und fand erst wieder Halt, als ich einen Abschnitt des Seils zu fassen bekam, der immer noch trocken genug war, Reibung zu erzeugen.
    Ich trat um mich, brüllte eine obszöne Beschimpfung, wurde für meinen Ärger mit einer neuen Ladung Pflanzenschmiere im Gesicht entschädigt und tat das Einzige, was mir nun noch übrig blieb.
    Ich lachte.
    Das war eine saublöde Art zu sterben, ganz

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