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Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam-Troy Castro
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sitzen, wohl wissend, was ihm angetan worden war, einem Leiden unterworfen, das seine Kapazität, noch irgendetwas anderes wahrzunehmen, weit überstieg, und zugleich bar jeder Chance, auf seine Befreiung zu zählen.
    Der Zwischenrufer war mit diesen Bildern eingeschlafen, war mit ihnen erwacht, hatte sich an ihnen erfreut, Kraft und Antrieb aus ihnen geschöpft. Sie als Ermahnung, seinen Hass zu leben, missbraucht.
    Ich malte mir aus, mich einem Feind zu stellen, der mit dieser Art Besessenheit bewaffnet war, und ignorierte die innere Stimme, die versuchte, mir einzureden, dass ich nichts aufzubieten hatte.
    Denn ich hatte mehr als nichts.
    Ich hatte eine Bestimmung.
    Ich ließ mir Zeit, ehe ich durch das Portal in den nächsten Raum trat, der sich als großes Oval erwies, eigentlich mehr als eine Art Amphitheater, groß genug, Hängemattenstadt und ihre Bewohner gleich mehrfach zu verschlucken. Er beherbergte die Kunstgalerie des Zwischenrufers: Hunderte von Bildern, keines doppelt vorhanden, drängten sich an den Wänden, zeigten jedes einzelne Mitglied von Gibbs Mannschaft, auserwählt für zumindest eine Version eines grausamen Todes. Sie waren verprügelt worden, ausgehungert, ausgeblutet, erdrosselt, perforiert, gehäutet, verbrannt, aufgespießt, mit Krankheiten infiziert, die ihnen das Fleisch von den Knochen hatten rotten lassen, oder einfach in Ketten geschlagen und zurückgelassen, auf dass Hunger und Durst ihnen ein Ende bereiten sollten. Mindestens ein Dutzend verschiedener Exekutionen, alle abscheulich, waren für Cynthia Warmuth reserviert worden. Beinahe ebenso viele Versionen entdeckte ich von mir, darunter einige, die mit den Botschaften übereinstimmten, die ich erhalten hatte. Die Porrinyards teilten sich eine einzige Version: ein schnuckeliges Bild zweier Dienstverpflichteter, so ausgezehrt und ausgehungert, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als sich gegenseitig das Fleisch von den Knochen zu nagen. Dann war da ein noch schlimmeres Bild, reserviert für Stuart Gibb: Sollte ich je Zweifel an der Befähigung meines Verstandes hegen, sich selbst zu kontrollieren, dann musste ich mich nur erinnern, wie herrlich es gewesen war, dieses Bild aus meinem internen Dauerspeicher zu rasieren.
    Hauptattraktion des Raums, so enorm, dass dagegen alles andere verblasste, war Cif Negelein. Er stand mit gespreizten Beinen auf einem goldenen Podest, die Fäuste an den Hüften, das Gesicht entschlossen und edel, der Körper weit über den gesteigerten Muskeltonus hinaus idealisiert, der unter den Bewohnern von Hängemattenstadt allgemein verbreitet war. Jede weiche Linie, jede Unvollkommenheit, die den Mann auf einen bloßen Menschen hätte reduzieren können, war fortgemeißelt, ausradiert, neu erfunden, ersetzt durch eine Ästhetik, die über alles Bewundernswerte hinaus in ein Reich wies, das ich gerade noch als das der Karikaturen einzuordnen imstande war. Sein Kinn war ein prächtiges Bauwerk, seine Stirn ein Monument. Doch er war kein Mensch, und das nicht nur, weil er die Ausmaße eines Gottes beanspruchte. Seine Augen waren leer, seelenlos, lieblos.
    Es war unmöglich, sich in Gegenwart dieses richtenden Blicks nicht klein vorzukommen.
    Ich umrundete den Raum, musterte nacheinander jede verstümmelte Leiche. »Ist das alles, was sie dir für das Überlaufen geboten haben? Eine Leinwand? Die Werkzeuge, das zu schaffen, was du mit deinen eigenen Gaben nicht kannst?« Meine Worte hallten von den hohen Wänden wider. »Kunst als Ersatz für das Gefühl von Menschlichkeit?«
    Der Boden war hier so porös und schwammig, dass die rasenden Schritte keine lauten Geräusche verursachen konnten. Sie waren nur als leise, dumpfe Tapser vernehmbar. Ich konnte nicht genau erkennen, woher sie kamen, aber ich wusste, dass sie irgendwo hinter mir aufklangen. Doch als ich in der Erwartung herumwirbelte, in hasserfüllte Augen zu blicken, die gerade noch Zentimeter von den meinen entfernt waren, verhallten die Schritte und verschwanden irgendwo hinter einem Trugbild von Mo Lassiter.
    Ich rannte mitten hinein in das Bild, erlebte ein übelkeiterregendes Aufblitzen der Blindheit im Augenblick des Kontakts und kam auf der anderen Seite wieder hervor, wo ich gerade noch einen menschlichen Schatten vorüberhuschen sah, der an der runden Wand entlangrannte. Ich folgte ihm, ohne mich zu tarnen, ohne an meine eigene Sicherheit zu denken. Alles, was mich noch interessierte, war, diese Sache zum Ende zu bringen.
    Das schwache

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