Halbgeist: Roman
hättest du Hängemattenstadt in einer Vielzahl subtilerer Formen schikanieren können. Du hättest dich nicht von altem Groll leiten lassen müssen. Du hättest keine Show inszenieren müssen.«
Die unsichtbare Präsenz überraschte mich damit, laut aufzulachen, näher, als mir lieb war. »Doch, das hätte ich, weil ich die Schlampe gehasst habe.«
Ich drehte mich zu der Stimme um. »Und das ist das eigentliche Problem, nicht wahr? Lieblos aufgewachsen, ohne jede menschliche Interaktion. Immer das Gefühl gehabt, nicht dazuzugehören. Hass war das Einzige, worin du je wirklich gut warst, nicht wahr? Du hast zugelassen, dass er ein Monster aus dir macht.«
»Das sagt die Richtige.«
Die Retourkutsche traf mich wenig. Sie machte mich nur traurig. »Zumindest musste ich mich mein Leben lang der Tatsache stellen, dass ich dafür verurteilt werde. Wie steht es mit dir, Christina?«
Ich hörte weniger, als ich ahnte, dass sie zum Angriff überging.
Der Schlag gegen meinen Körper trieb mir den Atem aus der Lunge und drängte uns beide um einige Körperlängen nach hinten, ein Stoß, der uns beide auf der Stelle zu Boden hätte befördern müssen, hätte ich nicht den größten Teil dieser Distanz damit zugebracht, darum zu kämpfen, auf den Beinen zu bleiben.
Gemeinsam prallten wir etwas später dann doch zu Boden, ohne dass ein Laut den Aufschlag begleitet hätte. Die einzigen Geräusche entstammten ihren Flüchen und meinem eigenen schmerzgepeinigten Keuchen.
Etwas Hartes explodierte seitlich an meinem Gesicht, riss mir die Lippe auf und füllte meinen Mund mit dem Geschmack frischen Blutes. Der nächste wilde Schwinger kratzte meine Schläfe auf, hinterließ eine Linie puren Feuers und schlug meinen bereits zuvor verletzten Hinterkopf kraftvoll auf den stillen Boden. Ich zielte auf ihr Kinn, das Betäubungsgerät an meinen Fingerspitzen gierte bereits nach einem Opfer, aber ich hatte es auf dieser Station bereits zweimal eingesetzt und damit jegliches Überraschungselement eingebüßt, dessen ich mich anderenfalls hätte erfreuen können; sie schloss einfach ihre Hand um die entsprechenden Fingerspitzen und zerrte es weg, erduldete einen kurzen Schlag im Gegenzug für die grimmige Freude, meine einzige Waffe in die Finsternis schleudern zu können. Den Schmerz, den der Schlag verursacht haben musste, schien sie gar nicht zu spüren. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt zu schreien, Worte hinauszubrüllen, gesättigt von gleich mehreren Menschenleben voller Demütigungen, Mangel und Schmerz.
Inzwischen hockte sie rittlings auf meinem Bauch und hielt mich am Boden fest, während sie die Hände über den Kopf hob, um zum nächsten Schlag auszuholen. In dem kläglichen Versuch, ihr einen Tritt an den Hinterkopf zu verpassen, zog ich die Beine an. Ich versagte. Sie lehnte sich inzwischen viel zu weit vor, verloren, allzu verloren in dem Bedürfnis zu brüllen, was immer sie da brüllte. Meine Beine fielen zurück, krachten auf den Boden, ein Aufprall, der lautlos sein mochte, der mir jedoch gerade genug Schwung lieferte, um einen Versuch zu wagen, mich herumzurollen. Sie musste sich mit der rechten Hand abstützen, um sich der Bewegung entgegenzustemmen, eine Regung, die ihre Waffe wenigstens für etwa drei Sekunden aus dem Spiel nahm. Das gab mir die Möglichkeit, die ich brauchte, um all meine Kraft zu sammeln, all meine Verzweiflung und mein Bedürfnis zu leben und es in einem einzigen Hieb zu bündeln, der sie seitlich im Gesicht traf.
Ebenso gut hätte ich gar nichts tun können.
Warum, begriff ich, als sie nach meinem Hals griff und ich ihr Handgelenk packte, um ihren Arm festzuhalten. Das Kräftemessen war albern. Wie die meisten von Gibbs Leuten bestand auch sie nur aus harten hypertrophen Muskeln. Ich hatte mich stets fit gehalten, teilweise im Rahmen der täglichen Routine im Dip Corps, teilweise mit Hilfe regelmäßiger Verjüngungsbehandlungen durch die KIquelle Medizintechnik, aber das, was ein Vertreter der Staatsanwaltschaft unter Fitness versteht, war nichts im Vergleich zu dem, was von den Höhenspezialisten verlangt wurde, welche Hängemattenstadt bevölkert hatten. Sie alle waren es gewohnt, ihr eigenes Gewicht tragen zu müssen, dauerhaft und mit minimaler Anstrengung.
Obwohl ich beide Hände fest um Santiagos eiserne Handgelenke gelegt hatte und alle Kraft aufbot, um das Unausweichliche zu verhindern, konnte ich nur symbolischen Widerstand leisten, als die kreischende Frau ihre Hände auf
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