Halbgeist: Roman
meine Kehle drückte.
Ich hatte solche Orte schon früher besucht. Ich war klein gewesen, ich war hilflos gewesen, ich war völlig bedeutungslos gewesen im Angesicht einer Macht, die größer war als die meine.
Ich fühlte, wie mein Mund unter den Anfängen eines erstickten Aufschreis zuckte, als Christina Santiagos Hände, unbeeindruckt von meinen Versuchen, sie abzuwehren, sich kraftvoll um meine Kehle spannten.
Ihre Daumen gruben sich in meine Luftröhre.
Ihr Griff war unglaublich fest.
Er schnürte mir nicht nur die Luft ab, er eliminierte jeglichen Gedanken daran zu atmen.
Er verwandelte Luft in ein abstraktes Etwas.
Meine Welt färbte sich an den Rändern blutrot.
Ich ahnte, dass das Blutrot sich allmählich grau färbte.
Mir wurde klar, dass ich wusste, was Santiago brüllte.
Ich wusste, dass ich sterben würde, und ich wusste, dass sie alle Trümpfe in der Hand hatte, und ich ignorierte die innere Stimme, die versuchte, mir einzureden, dass ich nichts aufzubieten hatte.
Denn ich hatte mehr als nichts.
Ich war Andrea Cort, verdammt noch mal.
Und das war der Moment, in dem meine eigenen Daumen, die sich in Santiagos Gesicht bohrten, ihre Augen fanden.
Ich hatte mich geradewegs auf diese Schwachpunkte gestürzt und nicht mehr Zurückhaltung oder auch Anstand an den Tag gelegt als sie.
Nun schrien wir beide. Santiago, weil sie überzeugt war, sie hätte ihr Augenlicht dauerhaft verloren, ich, weil sich ihr Griff um meinen Hals gelöst hatte, was mir die Luft lieferte, die es mir ermöglichte zu schreien.
Ich zog meine blutverschmierte rechte Hand zurück und stach ihr erneut die Finger ins Gesicht. Dieses Mal fühlte ich ihre Nase brechen.
In dem Raum zwischen uns entwickelte sich eine klamaukartige Schlacht feindlicher Finger, als jede von uns versuchte, die Handgelenke der anderen zu packen. Es gelang mir, ihrem Griff lange genug zu entgehen, um ihr noch einmal durch das Gesicht zu harken. Sie zuckte heftig zurück, um einen weiteren Angriff auf ihre Augen zu verhindern. Ich nutzte den Vorteil dieses flüchtigen Moments, in dem das Gleichgewicht gestört war, um mich nach links zu drehen, und dieses Mal gelang es mir wundersamerweise, sie abzuschütteln.
((letzte chance, counselor * entscheide dich, auf welcher seite du stehen willst))
Santiago und ich waren beide benommen, beide zerschlagene Gestalten, die sich kriechend voneinander entfernten und sich mit den Verletzungen herumschlugen, die wir einander bis dahin zugefügt hatten. Blut rann aus zwei Risswunden knapp unter den Brauen in ihre Augen. Ich war benebelt, desorientiert, erschüttert, außer Atem und stand unter Schock.
Wir wussten beide, dass der Sieg in diesem Kampf allein davon abhing, wer zuerst wieder auf die Beine kam.
Santiago erholte sich schneller.
Aber ich war diejenige, die das Haar an ihrem Hinterkopf zu fassen bekam und ihr Gesicht mit aller Macht auf den Boden rammte.
Da der Aufprall seitens des Bodens keinerlei Laut verursachte, waren die Geräusche ihres zerschlagenen Gesichts umso deutlicher zu vernehmen. Ich hätte zurückschrecken können, stattdessen zog ich ihren Kopf wieder hoch und rammte ihn erneut zu Boden, zwei-, drei-, dann viermal, und fühlte, wie die Erschütterung jedes einzelnen Aufpralls sich bis in meine Unterarme ausbreitete.
Dann ließ ich mich zurückfallen, blieb aber wachsam für den Fall, dass sie wieder hochkäme. Doch Santiago war, wenn schon nicht bewusstlos, für den Augenblick zumindest zu benebelt, um weiterzukämpfen; ihre schwachen Bewegungen waren langsam und unbeholfen und stellten keine unmittelbare Gefahr mehr dar.
Sie weinte sogar.
Das war mehrere Sekunden, bevor ich genug Atem sammeln konnte, um etwas zu sagen. »Zum Teufel mit dir.«
Die Worte hätten Santiago gelten können, aber die abtrünnigen Intelligenzen oder Unsichtbaren Dämonen - welchen Namen ich ihnen auch zukommen lassen wollte - wussten, wer tatsächlich gemeint war. ((das ist, was sie von dir wollen, andrea cort * sie wollen dich verdammen * es obliegt deinem gewissen, für welche seite du dich entscheidest))
Und in diesem Moment schaltete irgendein Idiot das Licht ein.
Wir befanden uns in der Mitte eines ovalen Raums mit niedriger Decke und schemenhaften blauen Wänden, die weiter entfernt zu sein schienen, als sie tatsächlich waren. Ich konnte den Unterschied anhand einer Luke erkennen, die sich innerhalb meines Blickfelds geöffnet hatte und viel näher zu sein schien als die Wand, die sie umgab.
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