Halbgeist: Roman
in ihrer Akte hinterlassen, in denen ich sie für einen Aufbaukurs für künftige Führungskräfte empfohlen habe.«
Einmal zum Dienst zugelassen hatte Warmuth sich eines ereignislosen Jahres als Kontaktperson des Dip Corps für die tanzenden Pilger auf Vlhan erfreuen dürfen und sich durch ihre Arbeitsleistung, wenn nicht gar einen außergewöhnlichen Leistungslevel ausgezeichnet. Einige nicht näher spezifizierte Konflikte mit Kollegen hatten zu einem offiziellen Versetzungsgesuch geführt.
»Worum immer es dabei gegangen sein mag«, sagte Gibb, »es war nicht wichtig genug, es in ihrer Corps-Akte zu vermerken. Vermutlich ging es lediglich um persönliche Sympathien. Warmuth hat die Leute genervt. Aber die Mitarbeiter des Corps stammen aus so vielen verschiedenen Kulturen, dass man mit derlei Dingen einfach rechnen muss.«
»Hat sie selbst die Versetzung beantragt, oder wurde von anderer Seite um ihre Versetzung gebeten?«
»Soweit ich weiß, war das ihre Idee. Ich habe mal gehört, wie sie behauptet hat, sie wäre die einzige Dip-Corps-Mitarbeiterin auf Vlhan gewesen, die Interesse an den Eingeborenen gezeigt hätte, aber das war typisch für sie. Sie hat sich immer gern in einem heiligen Licht gebadet.«
Was auch dahintersteckte, Warmuth war nach One One One abkommandiert worden. Zum Zeitpunkt ihres Todes war sie sechs Handelsmonate auf der Station gewesen, wo sie in unterstützender Funktion tätig gewesen war, solange sie auf die Freigabe für den Direktkontakt hatte warten müssen. Bis zu ihrem Todestag hatte sie die Hängematten nie ohne Begleitung verlassen.
»Sie hatte nur einen minimalen Kontakt zu den Brachs«, sagte Gibb. »Ich versichere Ihnen: Es waren nur ein paar wenige anfängliche Begegnungen. Und ein paar Kontaktaufnahmen in Begleitung unserer Exosoziologin Mo Lassiter und eines kybernetisch vernetzten Paares namens Oscin und Skye Porrinyard. Sie war auf ihrer ersten nächtlichen Mission, als passiert ist, was passiert ist.«
Ich sah den Mann schaudern, fand für den Augenblick keinen Grund, das Schaudern anzuzweifeln, speicherte es aber in Gedanken ab, nur für den Fall, dass sich im Zuge der Ermittlungen Anlass zu der Überlegung ergäbe, es könnte gespielt gewesen sein. »Ich will mit Lassiter, diesen Porrinyards und jedem Brachiator sprechen, dem sie begegnet ist.«
»Die Porrinyards werden Ihnen gern behilflich sein. Sollten Sie allerdings irgendetwas Nützliches aus den Brachiatoren herausbekommen, dann sind Sie besser als ich.«
Noch immer studierte ich die Augen des Nicht-Botschafters und sah Trauer, Bedauern von einer Art, die sich intimen Bereichen näherte ... und noch etwas anderes, etwas Verschwiegenes, etwas, hinter dem sich Geheimnisse verbargen, die der Mann mich nicht sehen lassen wollte. »Mochten Sie sie, Mr. Gibb?«
Gibb wandte den Blick ab. »Ich ziehe es wirklich vor, mit Vornamen angesprochen zu werden, Counselor. Aber verdammt, ja, ich mochte sie. Sie gehörte zu den wenigen Leuten, die sich auch hier ein sonniges Gemüt bewahren konnten: mitfühlend, freundlich, hingebungsvoll, und sie war darüber hinaus die Art von Mitarbeiter, die zum emotionalen Zentrum eines Außenpostens wie diesem werden kann.«
Hohn flackerte in Lastognes Augen. »Eine geborene Idealistin.«
Ich verstand die Verunglimpfungen, ganz wie er es beabsichtigt hatte; Gibb, soweit ich es beurteilen konnte, jedoch nicht. Lastogne schien viel Freude daran zu haben, verbale Raketen abzufeuern, die den Radar seines Vorgesetzten unterflogen.
»Sie haben sie gerade zu einem Engel erklärt«, sagte ich. »Sie haben aber auch gesagt, sie wäre den Leuten auf die Nerven gegangen. Was stimmt nun?«
»Beides«, sagte Gibb. »Sie hat sich zu sehr bemüht.«
»Wurde ihre Hängematte ebenfalls sabotiert?«
»Nein.« Gibbs helle Augen schienen sich vor lauter Verzweiflung schwarz zu färben. »Wie ich schon sagte, es war ihr erster Nachteinsatz. Wir haben sie am Überwuchs hängend gefunden.«
»Sagen Sie ihr, wie, Stu«, forderte Lastogne ihn auf.
Gibb würgte an den Worten, als würden die furchtbaren Tatsachen erst manifest, wenn er sie ausspräche. Aber schließlich schaffte er es doch: »Durch ihre Hand- und Fußgelenke waren Brachiatorenklauen getrieben worden. Eine weitere, die tödliche, hat ihr Herz durchbohrt.«
»Brachiatoren ... was?«
»Klauen.« Seine Stimme versagte. »Die Brachiatoren haben sehr scharfe, gekrümmte Klauen. Sie wachsen permanent und brechen ab, wenn sie zu lang werden.
Weitere Kostenlose Bücher