Halbgeist: Roman
belehren.«
Woraufhin sie im Ton eines frustrierten Lehrers, der für einen kompletten Idioten eine grundlegende Lektion wiederholt, mit mir sprach: »Er hält Gibb nicht für inkompetent. Er hält Gibb für unbedeutend. Er denkt, Gibb wäre ein Nichts, eine Lücke, ein Platzhalter. Und genau so will er Gibb auch haben. Das will er so sehr, dass er bereit ist, Gibbs schmutzige, korrupte Geschäfte samt und sonders zu unterstützen im Austausch gegen die Freiheit, selbst ein noch größerer Arsch zu sein.«
D'Onofrio hob eine Hand und brachte Li-Tsan zum Schweigen, ehe sie ihren Widerwillen gegen alles, was irgendwie mit Lastogne zu tun hatte, noch detaillierter ausschmücken konnte. »Es tut mir leid, Counselor. Niemand fühlt sich gern so lange nutzlos, wie wir es tun. Das hat uns alle drei ein wenig verbittert, fürchte ich. Tatsache ist, dass wir nicht wissen, wie wir Ihnen helfen könnten. Seit Monaten hat keiner von uns das Habitat betreten dürfen - in Robins Fall sind es sogar schon beinahe zwei Handelsjahre. Zu dem Tod dieser beiden Frauen können wir Ihnen nichts sagen.«
»Na gut«, antwortete ich. »Ich gebe mich damit zufrieden, wenn Sie mir erzählen, warum Sie ausgemustert wurden.«
Li-Tsans Schweigen, so oder so allenfalls ein behelfsmäßiger Zustand, nahm ein abruptes Ende. »Siehst du, Nils? Die Wahrheit ist ihr scheißegal! Sie versucht nur, die ganze Geschichte uns in die Schuhe zu schieben.«
Wann immer ich drei oder mehr Personen zugleich befrage, übernimmt einer die Rolle des unberechenbaren Hitzkopfs, der als selbst ernannter Vertreter der gemeinsamen Paranoia fungiert. Nur manchmal deutet das auch darauf hin, dass der Hitzkopf etwas zu verbergen hat. Ebenso häufig ist die Menge der wahrhaft relevanten Informationen, die sich hinter all dem Ärger verstecken, gleich null. Wie dem auch sei, der Hitzkopf musste mundtot gemacht werden. Ich atmete tief durch, gönnte mir die Zeit, es mir in aller Ruhe auf einer der Kisten bequem zu machen, die die Höhenängstlichen als Sitzgelegenheiten nutzten, und sagte: »Wissen Sie, Lehnsfrau, ich behaupte gar nicht, dass ich der Wahrheit so hingebungsvoll verbunden bin. Ich bringe nicht einmal besonders viel Mitgefühl für die Probleme derjenigen auf, die zu Unrecht beschuldigt werden. Nein, ich fürchte, meine Bedenken, einen erkennbar schwachen Fall gegen Unschuldige zusammenzubasteln, hatten von jeher vor allem damit zu tun, dass ich es vorziehe, den Eindruck zu vermitteln, ich verstünde etwas von meinem Job. Unglaubwürdige Verdächtige nach dem Zufallsprinzip auszuwählen wirkt unberechenbar, inkompetent und schlampig. Auf die Dauer macht es ganz einfach sehr viel weniger Arbeit, den Job gleich beim ersten Mal richtig zu machen und den echten Täter zu präsentieren.«
Die drei Exilanten starrten mich an.
»Als Nächstes«, geiferte Li-Tsan, »erzählen Sie uns noch, Sie würden nicht beißen.«
Mein süßestes Lächeln war schon seit langer Zeit meinen hässlichsten Auftritten vorbehalten. »Oh, selbstverständlich beiße ich. Und wenn ich einmal zugepackt habe, dann bin ich wie eine Schlange. Sie müssen mir schon den Kopf abschlagen, damit ich loslasse. Ich bitte Sie, Li-Tsan, stellen Sie mich nicht auf die Probe. Ich verspreche Ihnen, das geht nicht spurlos an Ihnen vorbei.«
Die Exilanten berieten sich in aller Stille, kamen schließlich zu einer Entscheidung und setzten sich zu mir an den Tisch. Doch auch dann zogen sie die Kisten auf ihrer Seite so zurecht, dass sie Ellbogen an Ellbogen beisammensitzen und mir eine einheitliche Front zeigen konnten. D'Onofrio und Li-Tsan hatten trotzig-gelangweilte Mienen aufgesetzt, Fish demonstrierte eine düstere Form niedergeschlagener Resignation. Ich konnte nicht erkennen, ob die beiden anderen Fish unterstützten oder eher bedrängten. Mir fiel aber auf, dass Fish anscheinend keinem der beiden in die Augen sehen mochte. Das war keine Furcht, aber etwas war da: ein noch nicht lange zurückliegender Streit? Ein älterer Streit? Womöglich eine altmodische Dreiecksbeziehung? »Warum denken Sie, das Corps will Ihnen die Sache in die Schuhe schieben?«
»Dafür gibt es keinen besonderen Grund«, grollte Li-Tsan. »Abgesehen davon, dass sie uns wegen etwas, wogegen wir nichts tun können, wie Tchischeiße behandeln, uns seit Monaten in diesem Loch gefangen halten und sich weigern, uns von hier wegzubringen und uns eine andere Aufgabe zuzuweisen, bei der wir uns nützlich machen können, statt
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