Halbgeist: Roman
mich los.«
Fish schwieg so lange, dass ich mich zusammenreißen musste, um sie nicht zu bedrängen. Das ist grundsätzlich keine gute Vorgehensweise. Manchmal zögern die Leute, weil sie nicht den Mut haben, mit dem herauszukommen, was gesagt werden muss; manchmal wünschen sie sich auch verzweifelt, etwas zu sagen, finden aber nicht die richtigen Worte. Sie zu früh zu bedrängen birgt die Gefahr, sie endgültig verstummen zu lassen. Warten hingegen gibt ihnen Zeit, mehr zu sagen, als sie ursprünglich beabsichtigt haben. Als sie schließlich das Wort ergriff, geschah dies ohne jede spürbare Energie: »Ich war nie etwas Besonderes, bloß eine gewöhnliche Büroangestellte in New Kansas. Keine besonderen Fähigkeiten, keine besondere Ausbildung, nur erdrückende Langeweile und der verzweifelte Wunsch, da endlich rauszukommen.«
»Also haben Sie sich dem Corps angeschlossen.«
»Das mir die gleiche Art von Arbeit zugewiesen hat, die ich auch vorher gemacht habe. Mr. Gibb bin ich zum ersten Mal begegnet, als ich im Archiv auf Hylanis gearbeitet habe. Er war berühmt und arbeitete in der Verwaltung, während er auf seinen nächsten Einsatz wartete, und ich war ein frustriertes Mädchen, das ihn angebettelt hat, an mich zu denken, sollte er irgendwohin beordert werden, wo sich auch für mich Aufstiegsmöglichkeiten ergeben könnten. Er war noch nicht lange fort, da wurde ich schon zu einer Spezialausbildung für dieses Projekt geschickt. Ich absolvierte einen dreißigtägigen Kurs zur Höhendesensibilisierung, ehe man mich hergeflogen hat.«
»Und Sie wurden ausgemustert.«
»Beinahe auf der Stelle«, sagte sie.
»Wie kam's?«
»Jeder außer Gibb wusste vom ersten Tag an, dass ich nicht zu gebrauchen war, aber er hat immer wieder gesagt, ich würde mich schon noch anpassen. Dann, eines Tages, während einer Fördermaßnahme, ist eine der Ranken des Überwuchses abgerissen, und ich hing am Ende eines zehn Meter langen Strangs und habe mir die blöde Seele aus dem Leib geschrien.« Ihre Hand krampfte sich zusammen bei der Erinnerung, und sie betrachtete sie, ohne sonderlich überrascht auszusehen, und legte sie flach auf den Tisch. »Danach konnte ich niemandem vorwerfen, wenn er nicht mit mir arbeiten wollte.«
»Und das war vor zwei Handelsjahren.«
»Nicht ganz. Bis zu meinem Jahrestag dauert es noch ein paar Wochen.«
Diesen Begriff, der eigentlich an eine Feier gemahnen sollte, ließ sie ohne jede erkennbare Ironie fallen.
»Sie haben die Nachschubtransporter in Empfang genommen«, sagte ich. »Neue Dienstverpflichtete auch, dann und wann. Hat Gibb in diesen zwei Jahren nie darüber gesprochen, Sie heimzuschicken? Oder Ihnen eine andere Aufgabe zuzuweisen, bei der Sie sich hätten nützlich machen können? Es muss doch Möglichkeiten gegeben haben.«
Li-Tsan, die vielen ihrer Bemerkungen unfeine Geräusche vorausgehen ließ, gab einen weiteren derartigen Laut von sich. »Mr. Gibb ist der Meinung, dass Versager in seiner Mannschaft kein gutes Licht auf seine Führungsqualitäten werfen, also ist es sicherer für ihn, uns einfach aus dem Weg zu schaffen und verrotten zu lassen.«
»Haben Sie versucht, sich bei seinen Vorgesetzten in New London zu beschweren?«
»Natürlich«, sagte Li-Tsan. »Wir alle haben das getan. Wir haben sie mit Beschwerden bombardiert. Ich habe zwei pro Tag abgeschickt. Raten Sie mal. Das läuft alles über Gibb, und er hat nach wie vor die Autorität, uns für unverzichtbar für das hiesige Projekt zu erklären. Außerdem ist New London auch nicht gerade erpicht darauf, bei anderen Projekten für Leute zu werben, die sich bei ihrem letzten Einsatz bereits als inkompetent erwiesen haben. So, wie die das sehen, ist Gibb berechtigt, uns in dieser Vorhölle festzuhalten, und wir können hier die restlichen Jahre unserer Vertragsbindung absitzen und uns über die Ungerechtigkeit aufregen, wie wir wollen.« Sie verdrehte die Augen. »Das hat sich jetzt, da er einen Sündenbock braucht, natürlich ein wenig geändert.«
»Ist das der Grund, warum Sie Ihre Abneigung gegenüber Mr. Lastogne so deutlich zeigen?«
»Er unterstützt alles, was Gibb uns antut, also ist er nichts als ein Stück Scheiße.«
Dieses Mal normale Scheiße. Ich wandte mich erneut an Fish. »Sie waren also hier eingesperrt, ganz allein, über ein Jahr, bis schließlich Li-Tsan aufgetaucht ist. Das hört sich furchtbar an.«
Fish blickte nicht auf. »Ich war ja nicht ganz allein. Ich habe Besuch
Weitere Kostenlose Bücher