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Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam-Troy Castro
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Körperkontakt zu rechtfertigen, den ich bei unserer ersten Begegnung kaum hatte abwehren können. Ich war mir nicht sicher, ob das bedeutete, dass ich ihn am Vortag falsch eingeschätzt hatte, oder ob er zu dem Schluss gekommen war, dass es Grenzen gab, die zu offensichtlich waren, um sie zu überschreiten. Jedenfalls sah er überallhin, nur nicht zu mir. »Erstaunliche Aussicht, nicht wahr?«
    Ich sagte nichts.
    »Zehn von unseren Leuten, zehn, arbeiten Vollzeit an der Beseitigung technischer Probleme. Sie wären überrascht, wie viele Probleme in solch einer Welt auftauchen, mit denen wir in den von uns erbauten Welten nie konfrontiert worden sind. Die KIquellen haben uns ein paar Besichtigungstouren gegönnt. Es gibt ein Luftumwälzungssystem, das von Turbinen angetrieben wird, die so groß sind wie kleinere Monde; oder Hitzestreuungseinheiten rund um die Sonnen herum, die verhindern sollen, dass alles, was ihnen zu nahe kommt, gekocht wird. Die strukturellen Belastungen, denen diese Träger ausgesetzt sind, würden unsere Experten in Angst und Schrecken versetzen. Immer wieder haben wir es mit beweglichen Strahlungsquellen zu tun, die aus dem toxischen Schlick unter uns kommen; wir wollen gar nicht wissen, was in den tiefsten Schichten lebt. Das alles ist so verdammt beliebig und zugleich so verdammt perfekt. Manchmal, wenn ich hier herauskomme und mich frage, ob die ganze Sache je einen Sinn gehabt hat, überlege ich, ob das nicht etwas wie das Taj Mahal oder der Schreitende Koloss von Parnajan ist, einfach irgendetwas, das diese Intelligenzimpulse nur deshalb zusammengebastelt haben, um zu beweisen, dass sie es können. ›Seht meine Werke, ihr Mächtigen, und verzweifelt!‹ So was in der Art.«
    »Das ist eine Theorie«, sagte ich.
    »Nein, ist es nicht. Es ist Bockmist. Das sind nur die Worte eines alten Dip-Corps-Soldaten, der mit dem wenigen, was er hat, das Beste tut, was er kann. Ich mache mir allerdings mehr Sorgen um Sie. Sie kommen mir nicht vor wie die Art Mensch, die keine Mühe scheut, nur um einen besonders malerischen Ausblick zu genießen.«
    Ich hätte ihm erklären können, dass die Dunkelheit, die das Habitat bei Nacht verschlang, das glatte Gegenteil von malerisch war, da sie schlicht jeglichen Ausblick eliminierte. Stattdessen schüttelte ich den Kopf. »Mich treibt nichts derart Leichtfertiges, Sir. Für mich war es wichtig, den Rhythmus des hiesigen Lebens zu erfassen. Herauszufinden, wie sich Ihre Leute verhalten, wenn es keinen Ort gibt, an dem sie gerade sein müssen, was sie tun, wenn es nichts gibt, was sie gerade tun müssen. Für mich sind sogar die Geräusche bedeutsam, die sie verursachen, wenn die meisten von ihnen sich bereits zur Nacht in ihre Hängematten zurückgezogen haben. Ich musste eine Vorstellung davon bekommen, wie es in jener Nacht hier zugegangen ist, in der Santiago gestorben ist.«
    Er nickte. »Und, sind Sie bereits zu irgendeiner Schlussfolgerung gelangt?«
    »Nicht zu einer, die ich mit Ihnen teilen könnte.«
    »Nun gut.« In seinem Schoß lag ein Bündel. Nun blickte er darauf hinab, als erinnerte er sich erst jetzt an seine Präsenz, und warf es zu mir herüber. »Niemand kann sich erinnern, Sie heute etwas essen gesehen zu haben. Also habe ich Ihnen ein kleines Futterpaket zusammengestellt. Nichts Besonderes, nur die übliche Pampe, die wir hier vor Ort als Nahrung bezeichnen. Reicht jedenfalls, um Sie am Leben zu halten.«
    Das Bündel war immer noch warm und verströmte einen kräftigen Geruch nach Essen, das ich irgendwann in ferner Vergangenheit offenbar schon gekostet und sogar gemocht hatte. Mein Magen knurrte. Ich legte das Bündel zur Seite, ohne es aufzumachen. »Danke. Das war sehr aufmerksam von Ihnen.«
    Er wartete darauf, dass ich über mein Essen herfiel, erkannte aber dann, dass ich das nicht tun würde. »Alternativ können Sie es auch für später aufbewahren und sich zu mir gesellen. Ich habe auch noch nicht zu Abend gegessen.«
    »Danke«, sagte ich, »aber nein. Ich ziehe es vor, allein zu essen.«
    Irgendwo in Hängemattenstadt brach eine berauschte Frau in hilfloses, verzücktes Gelächter aus. Ein Mann sagte etwas Gewitztes, und sie lachte erneut. Liebe, mindestens aber Leidenschaft lag in der Luft. Jemand anderes, etwas weiter entfernt, erörterte ein tief empfundenes Thema. Irgendwer fluchte grummelnd vor sich hin. Der Wind wechselte, das Netzwerk aus Tauen und Netzen verlagerte sich, und die Geschichte hinter all diesen

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