Halbgeist: Roman
man ihn von einem Mann erwarten sollte, der soeben die wichtigste Ansprache seines Lebens vermasselt hatte, mitten im Zentrum des Geschehens.
Oskar Levine, vollgepackt mit allerlei Materialien, war das offenbar nicht aufgefallen, denn er hielt an meiner Seite inne und sagte: »Nicht gerade das inspirierendste Vorbild, was?«
Ich ertappte mich bei der Suche nach einer Beschäftigung für meine Hände. »Das ist im Augenblick vielleicht sein größter Vorzug.«
Er zog eine Braue hoch. »Ich kann es kaum erwarten zu hören, wie Sie darauf gekommen sind.«
»Ein inspirierendes Vorbild hätte die Emotionen gestärkt. Es hätte die Luft angefüllt mit knisternder Rhetorik und so viel Courage, Trotz und Selbstvertrauen demonstriert, dass sie alle geradezu begierig gewesen wären, ihm zu folgen, wohin er sie auch führt. Aber auch dann hätte Gibb, genau wie jetzt, absolut kein Ziel gehabt, zu dem er sie von hier aus hätte führen können; keinen Schlachtplan, keinen Ausweg, nichts. Nicht einmal eine vage Idee. Er hätte nur die Glut entfacht und ihnen dann nichts geben können, um sie zu löschen. Mit dieser Situation umzugehen, als wäre es nur ein weiteres bürokratisches Ärgernis, dem wir alle uns beugen, das wir einfach hinter uns bringen müssen, ist viel hilfreicher.«
»Inwiefern?«
Ich sah ihm direkt in die Augen. »Es macht die Krise langweilig.«
»Und das ist gut?«
»Es sorgt dafür, dass alle voller Vorfreude darauf warten, es möge irgendetwas passieren.«
Levine verlagerte seine Pakete auf einen Arm, um sich mit der anderen Hand am Kopf zu kratzen. »Ihre Denkweise ist großartig, Counselor.«
Ich entdeckte Skye am Eingang zum Schiff. Sie hatte sich inzwischen einen Overall angezogen, der zu groß war und zu viel von ihr verbarg, um ihr zu gehören. Ihr Gesicht war gerötet, und ihr wirres Haar glänzte schweißnass.
Ich entschuldigte mich bei Levine und ging mühevoll drei oder vier Zusammenstößen mit anderen Dienstverpflichteten aus dem Weg, nur um zu ihr zu eilen. »Was ist los?«
Sie wischte sich die Stirn mit dem Handrücken ab. »Abgesehen vom Offensichtlichen?«
»Bitte.«
»Einige der Interschlafkrypten müssen gereinigt werden. Nichts Ernstes, aber da hinten ist eine, die aussieht, als wäre sie seit dem Herflug nicht gespült worden.«
Ich erinnerte mich, dass Gibb mir gesagt hatte, das Schiff verfüge nur über Wachplätze für vier Personen. »Ich dachte, D'Onofrio und die anderen wären dafür zuständig.«
»So ist es, trotzdem ist diese eine Krypta mit Blaugel verklebt.«
Ich revidierte meine vormals positive Einschätzung der Arbeitsethik D'Onofrios. »Kann das zum Problem werden?«
»Nicht, solange wir nicht in aller Eile ablegen müssen.«
Ich hatte mir die unerbittlichen Zahlen angesehen. Die derzeitige menschliche Besatzung von One One One umfasste nicht nur die Leute, die auf diesem Schiff hergekommen waren, sondern auch eine beachtliche Anzahl von Personen, die erst später mit Versorgungsschiffen angereist waren. Die gesamte Bevölkerung überstieg die Transportkapazität des Schiffs um etwa zwanzig Personen. Sollte eine vollständige Evakuierung nötig werden, konnte ich ein paar Leute auf meinem eigenen Schiff unterbringen, dennoch würde eine bedauerliche Anzahl von Menschen zurückbleiben.
Andererseits, sollte es so weit kommen, dann wären wir so oder so alle tot.
Denn der einzig denkbare Grund dafür, in solcher Hetze von hier zu verschwinden, wäre der Beweis dafür, dass die KIquellen uns tot sehen wollten.
Und sollte das der Fall sein, so konnte ich mir kein einziges Szenario vorstellen, das nicht damit endete, dass diese Binärcodebastarde aus uns einen Haufen treibender Trümmerteile im All machten.
Womit es sich nicht lohnte, darüber überhaupt zu sprechen. »Wo ist Ihre andere Hälfte?«
»Auf dem Rückflug nach Hängemattenstadt. Es ist noch einiges dort zurückgeblieben, und wir wollen unsere Sachen nicht an die tieferen Atmosphärenschichten verlieren, sollten die Hängematten kollabieren. Aber wissen Sie, er ist bei uns, solange ich hier bin. Brauchen Sie irgendwas?«
»Nur ein paar Minuten Ihrer Zeit.«
»Mit Vergnügen.« Sie strich sich mit ihren blau gefleckten Fingern durch die Haarstoppeln auf ihrem Schädel und neigte den Kopf in Richtung des Schiffsinneren.
Ich ließ mich von ihr durch einen vollgestopften Korridor in einen kreisrunden Kommandostand mit zwei Displaykonsolen führen, der von vier Privatquartieren gesäumt wurde,
Weitere Kostenlose Bücher