Halbgeist: Roman
sollen, sie versteifen sich, wenn sie zugreifen sollen, und im schlimmsten Fall behandeln sie ihren Retter wie etwas, an dem sie hochklettern können, und nicht wie einen Menschen, der ihnen zu Hilfe geeilt ist. Wären Sie nicht so unmittelbar in Gefahr gewesen, hätte ich es vorgezogen, Ihnen zu sagen, dass Sie sich festhalten sollen, während ich Hilfe rufe. Stattdessen bin ich erst im letzten Moment eingetroffen und hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, ob Sie womöglich auf eine Weise reagieren würden, die uns beide umbringen könnte. Ich musste sofort handeln, im selben Augenblick, oder Sie verloren geben. Und sogar jetzt denke ich noch, die Chance, es zu schaffen, lag etwa bei eins zu drei.«
Ich wusste nicht, was mich mehr erschreckte: dass ihre Schätzung so niedrig ausfiel oder so hoch. »Was am Ende wiederum positiv ist. Wenn Sie ein Faible für dramatische Rettungsaktionen haben.«
Sie kicherte. »Ich ziehe anspruchslose Rettungsaktionen vor. Das ist nicht so anstrengend.«
Irgendwas passte hier nicht. Ich hatte sie nicht im Mindesten aus der Ruhe gebracht. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie ärgerlich reagieren würde. »Ich wurde schon aus anderen gefährlichen Situationen gerettet. Ich weiß, dass meist eine spontane Improvisation vonnöten ist. Aber wenn wir uns mal ansehen, was mir widerfahren ist, und zwar im Lichte dessen, was Warmuth und Santiago zugestoßen ist, dann erkennen wir, dass allen drei Vorfällen ein gewisser Hang zur Theatralik zu eigen ist. Und mich zu retten, wie Sie es getan haben, passt hervorragend in dieses Muster. Wenn ich glauben soll, dass das alles echt war, dann brauche ich mehr. Was hat Sie beispielsweise zu der Zeit auf den Beinen gehalten und dann noch in der Nähe meiner Hängematte?«
Ihre Lippen verzogen sich und machten aus dem geheimnisvollen Lächeln ein breites voller Zähne, Zahnfleisch und ungezwungener Heiterkeit. »Halleluja. Zu guter Letzt kommen wir doch noch zum relevanten Punkt dieser Befragung.«
Ich wartete auf Einzelheiten, aber keine Chance; sie würde mich nachhaken lassen. »Was haben Sie da getan?«
»Ich wollte Ihnen einen Überraschungsbesuch abstatten.«
»Warum?«
»Weil«, sagte sie langsam, deutlich und ohne eine Spur von Gekränktheit oder Sarkasmus, »die Wahrscheinlichkeit, dass Sie mich einladen würden, mir sehr gering vorkam.«
Ermittlungen wie diese durchzuführen wäre mir erheblich leichter gefallen, hätte ich eine Art mystischen, unfehlbaren Sinn zur Unterscheidung von Wahrheit und Lüge besessen. Aber die Wahrheit lautet, dass ich nicht über eine solche Gabe verfüge. Da ist es schon eine gute Sache, dass ich ein Talent dafür besitze, die Dinge zusammenzufügen, die sich gegenseitig ergänzen, denn gewöhnlich ist es mir nicht möglich, durch reines Zuhören die Wahrheit auszufiltern. Jetzt allerdings hätte ich es vermocht, denn ich stellte fest, dass ich Skyes Art, mich anzusehen, mit der Art verknüpfen konnte, in der mich Oscin am Tag zuvor gemustert hatte.
Das gehörte nicht zu den Dingen, mit denen ich mich je wohlgefühlt hatte. Ich zog es vor, mein Leben ohne das zu leben. Aber ich hatte es schon früher erlebt, und ich wusste, wie es aussah.
Und nun sagte ich etwas Dummes: »Sie beide?«
Skye hatte mich erst vor zwei Minuten in diesem Punkt korrigiert, aber sie zeigte ein weiteres Mal Nachsicht mit mir. »Es gibt mich nur einmal.«
In rationeller Hinsicht ergab das immer noch keinen Sinn. Immerhin war ich die Person, über die wir sprachen, und ich wusste sehr genau, wie unausstehlich ich war. Noch weniger Sinn ergab das Ganze, wenn ich bedachte, dass die Porrinyards sich mir gegenüber schon seit unserer ersten Begegnung so verhielten.
Aber dieses eine Mal erkannte ich die Wahrheit bereits, als ich sie hörte.
Nun ja.
Das war interessant.
Ich wollte nicht interessant sein. Aber verdammt, ich war es.
Und ich hatte selbst bereits festgestellt, wie schön sie waren.
Ich drehte meinen Sitz von der Konsole weg, erhob mich, zupfte eine Falte aus meinem Overall und stand ziemlich dumm da, während Skye einfach vor mir saß, verdammenswert gelassen, und mich mit diesem Lächeln musterte, das nicht um einen Millimeter nachgelassen hatte.
Da ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte, riskierte ich es: »Danke, dass Sie mir das Leben gerettet haben.«
»Wir besprechen dann später, wie Sie mir im Einzelnen danken können«, entgegnete sie.
Ich schenkte ihr ein verunsichertes Lächeln und zog
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