Halbgeist: Roman
klammerten. Nicht einmal ihre immense Wut konnte Li-Tsan nun noch genug Kraft verleihen, um sich all dieser Leute zu entledigen. Aber obwohl sie endgültig hilflos war, gab sie nicht auf; sie warf sich immer noch hin und her, spannte noch immer jeden einzelnen Muskel, sorgte noch immer dafür, dass ihre Bändiger jede Menge zu tun hatten, um sie in Schach zu halten. Selbst als unter den Umstehenden ein Dutzend Kehlen ihren Namen rief und versuchte, diesen Augenblick des Wahnsinns mit einem Zeichen der Vernunft zu durchbrechen, deckte sie Gibb noch mit Pöbeleien ein, angefangen mit eher dumpfen Flüchen, die sich in Merkantil formulieren ließen, bis hin zu den lebendigeren, mehr bildhaften Verwünschungen, die jenen offenstanden, die sich die Mühe machen wollten, ihre Zungen um die härteren Konsonanten der grechilisshschen Sprache zu wickeln.
Ich weiß nicht viel über diese zweite Sprache, ein unbedeutender Dialekt unter Siedlern einer Industriewelt, die keinen Besuch wert war, es sei denn, man empfand eine überwältigende Sehnsucht nach Schwefel und Ruß. Aber der äußerst barsche und schwer auszusprechende Fluch, den Li-Tsan soeben mit perfekter Intonation ausgespuckt hatte, bestand aus einem berühmt-berüchtigten Adjektiv, das sich auf die Anwender einer seltenen, mutmaßlich längst ausgestorbenen und wahrscheinlich so oder so imaginären Perversion bezog, die sich um die chirurgische Entfernung organischer Sehwerkzeuge zum Zweck der vereinfachten sexuellen Erkundung leerer Augenhöhlen drehte.
Diese Praxis lässt sich auf Merkantil ebenso beschreiben wie in jeder anderen Sprache auch, und sie bleibt so scheußlich wie eh und je. Aber auf Grechilissh hört sich das Wort auch weitgehend so an wie das, was es bedeutet. Es klingt abscheulich, schmerzhaft und erniedrigend, und, was das Schlimmste ist, geradezu beschwörend - das war die Art von Bezeichnung, die man einem anderen Menschen einfach nicht an den Kopf warf, es sei denn, man legte es auf einen sofortigen Zweikampf auf Leben und Tod an.
Gibbs purpurner Teint wurde um eine Schattierung dunkler.
Und er ging auf sie los.
Trotz der vorangegangenen Provokation konnte das, was nun folgte, keinesfalls als fair gelten. Li-Tsan wurde an allen vier Gliedern festgehalten. Gibb war frei. Keiner gab sich besondere Mühe, ihn aufzuhalten, als er sich auf sie stürzte und ihr einen mächtigen Schwinger an das Kinn verpasste. Noch ehe die Umstehenden sich von diesem Anblick erholt hatten, ließ er eine Linke folgen, die ihr die Nase zertrümmerte.
Bei seiner derzeitigen Geschwindigkeit hätte er vermutlich noch für zwei bis drei weitere Schläge Zeit gehabt, ehe irgendjemand aus der Menge auch nur daran gedacht hätte, dazwischenzugehen.
Lange bevor einer der Zuschauer Gelegenheit zum Handeln bekam, trat ich vor und bohrte ihm Zeige- und Mittelfinger von unten in das Kinn.
Der Schock reichte, dass sich seine Muskeln verkrampften, die Augen sich verdrehten und die Blase sich entleerte. Er stolperte zurück, war vollkommen bei Bewusstsein und doch nicht imstande, sein Gleichgewicht zu halten. Irgendwo unterwegs verhakten sich seine Füße ineinander, und er stürzte.
Lastogne fing ihn ab, indem er die Hände unter seine Arme schob.
Alle anderen erstarrten, auch Li-Tsan, deren zerschlagenes, blutendes Gesicht sich zu all den anderen gesellte, die mich anstarrten.
Gibb konzentrierte sich, befreite sich von Lastognes Griff und schaffte es, auf den Beinen zu bleiben. »Was, zum Teufel, war das, Counselor?«
Ich wedelte mit der glänzenden Metallkappe, die ich auf den beiden Fingerspitzen trug, nahm sie ab und verstaute sie wieder an meinem Kragen, wo sie sich zunächst verflüssigte und wieder zu einem Dip-Corps-Abzeichen wurde. »Nur eine Rückversicherung.«
Er betastete die zunehmende Schwellung an seinem Kinn. »Das gehört nicht gerade zur Standardausrüstung, Counselor. Ist Ihnen klar, gegen wie viele Regeln Sie verstoßen haben, weil Sie eine Waffe auf das Territorium einer anderen Regierung gebracht haben?«
Ich zog eine Braue hoch. »Falls Sie beweisen können, dass das Gerät, das ich eben benutzt habe, ausschließlich als Waffe dient, dürften es einige sein. Aber alles kann als Waffe dienen, Sir. Eingeschlossen Werkzeuge, stumpfe Gegenstände und, wie wir soeben gesehen haben, unsere eigenen Arme und Beine. Wollen wir uns nicht bei jedem Grenzübertritt Arme und Beine amputieren und uns von den Einheimischen auf Handkarren herumkutschieren
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