Halbmast
bedroht sei. Das Sperrwerk war aber wichtig gewesen, denn ohne die Möglichkeit, den Fluss zu stauen, hätte man den Auftrag aus Amerika zum Bau der
Poseidonna
gar nicht annehmen können.Auch für Marten waren die verdammten Müslifresser ein rotes Tuch gewesen, auch er war mit einem selbst gemalten Transparent auf die «Demo pro Sperrwerk» gegangen. Damals hatte er ja noch nicht im Traum daran gedacht, dass sein Kopf ohnehin rollen würde, ob mit oder ohne Sperrwerk. Die Umweltschützer waren seit diesen Wochen die Feinde der Region. Auch jetzt noch, wo Marten schon längst nicht mehr dazugehörte, hegte er einen Groll gegen die Spinner, die einem hässlichen Fisch mehr Bedeutung zumaßen als den Arbeitnehmern eines ganzen Landstriches. Der Kampf war noch nicht ausgestanden. Deswegen auch die Security, die Absperrung, die Auswahl an mitreisenden Personen. Und die messerscharfen Kontrollen der Schlupflöcher, wie ebendiese Rettungsboote mit der roten Plane. Und doch hätte er schwören können, dass der Rauch von dort oben kam.
Marten stieg ein paar Leitersprossen höher, bis er mit der Faust gegen den hängenden Rumpf klopfen konnte. Viel Lärm wollte er nicht machen, um nicht selbst entlarvt zu werden. Doch falls dort einer kauerte, ein blinder Passagier, falls dort vielleicht ein Saboteur lauern sollte, so wollte er diesen Mistkerl warnen, besser noch vertreiben. Diese nichtsnutzigen Umweltheinis hatten der Werft schon immer so viel Schaden zugefügt. Vielleicht waren sie schuld daran, dass er seinen Job los war. Durch das ewige Mäkeln über die Vertiefung von Leda und Ems und den Bau des Sperrwerks hatten die Idioten letztlich allen geschadet.
«Ist da jemand?», flüsterte Marten. Er pochte ein zweites Mal gegen das kleine Boot. «Komm raus, ich kann dir nur raten, komm raus da. Du hast da nichts zu suchen.»
Marten überlegte, die restlichen zehn Sprossen hinaufzuklettern und unter die Plane zu schauen. Und dann? Was sollte er mit einem illegalen Mitfahrer anstellen? Er konnteihn nicht überführen, ohne sich selbst ans Messer zu liefern. Er konnte ihn vielleicht zu Perl in den Ballasttank stecken. Doch dann würde dieser Mensch sein Gesicht sehen und ihn, wenn man die beiden dort unten gefunden hätte, identifizieren können. Zudem, Marten war zwar stark, hundertfünf Kilo Lebendgewicht, doch er wusste nicht, wem er hier eventuell begegnen würde. Vielleicht einem, der an Kraft und Ausstattung ebenbürtig oder sogar überlegen war. Und dann würden sie beide auffliegen. Es war zu gefährlich.
Als Marten die Leiter wieder ganz nach unten kletterte, ertönte das Signal. Endlich ging es los.
Carolin
Tuuuut … Es war laut, mächtig, fuhr einem direkt in den Bauch, in den Kopf, in den ganzen Körper, es dauerte lange, beinahe eine Minute!
Wo blieb Leif? Das konnte doch nicht wahr sein. Sie stand hier, hatte einen konzentrierten Kapitän vor der Linse, den angespannten Garantiemechaniker Wolfgang Grees, dann einen Werftleiter und einen Reeder, die mit ihren Frauen stolz um die Wette grinsten. Ganz weit unten winkten Tausende dem Schiff zu, mit Tüchern, mit Fahnen, auf gewaltigen Plakaten wünschten sie der
Poseidonna
eine gute Fahrt. Es war ein überwältigender Anblick. Aber wo blieb Leif?
Ebba John blickte sich nervös um. «Was hat er gesagt?»
«Fünf Minuten!»
«Und wie lange ist das jetzt her?»
«Eine Viertelstunde!»
«Das passt nicht zu ihm, habe ich nicht Recht? Leif ist immer pünktlich. Vielleicht hätte ich ihn abholen sollen. Vielleicht hat er sich in dem Gewirr aus Gängen verirrt, könnte ja sein.»
«Nein, das kann nicht sein. Leif hat sich bereits in der Redaktion so gut vorbereitet, er hätte den Weg von der Kabine zur Brücke auch mit verbundenen Augen gefunden.»
«Aber was ist dann mit ihm los?»
Carolin überlegte kurz, ob sie Ebba John erzählen sollte, dass der Kollege gestern, ganz entgegen seiner Gewohnheiten, viel zu viel getrunken hatte. Doch wahrscheinlich tauchte er gleich auf, und dann wäre es wirklich unfair von ihr, diese Peinlichkeit ausgeplaudert zu haben.
«Weißt du was? Ich frage einen von der Security, ob sie in Leifs Kabine nach dem Rechten schauen.» Sie holte aus ihrer Blazertasche ein schmales Handy und tippte mit den langen Fingernägeln eine Nummer ein. Carolin beobachtete sie dabei. Ihr kam der seltsame Auftritt gestern in der Kabine in den Sinn, als diese fast fremde und einige Jahre ältere Frau mit ihr ein vertrauliches Gespräch beginnen
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