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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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doch Arzt. Sollte er seinen Job verloren haben, gut, ich könnte seine Wut verstehen, aber warum sperrt er dann ausgerechnet mich ein?»
    Er schwieg eine Weile. Laut und regelmäßig summten die Motoren. «Er war zwar maskiert, aber ich bin mir trotzdem sicher, dass ich diesem Mann noch nie begegnet bin. Er hat kaum etwas gesagt, aber ich könnte schwören, dass ich seine Stimme niemals zuvor gehört habe. Es ist so seltsam. Was will er von mir? Was habe ich ihm getan?»
    «Keine Ahnung!»
    «Wissen Sie, ich hatte ja verdammt viel Zeit zum Nachdenken hier unten. Und ich bin alle meine Patienten durchgegangen. Ich habe in Gedanken meine Karteikarten durchgewühlt. Ich habe überlegt, ob ich vielleicht einen Kunstfehler gemacht habe, ob ich jemandem Schaden zugefügt habe. Aber es war nichts dabei. Nichts Spektakuläres.Eigentlich nur kleine Wunden, manchmal Verrenkungen, Verstauchungen, leichte Verbrennungen.»
    Carolin horchte auf. «Verbrennungen? Wolfgang Grees hatte sich den Arm verbrannt.»
    Obwohl es noch immer stockfinster war, erahnte Carolin, dass Doktor Perl leicht nickte. «Ja, genau solche Verletzungen meine ich. Herr Grees musste nicht einmal ins Krankenhaus eingewiesen werden. Seine Verbrennung war nicht so schwer. Aber dies sind die Sachen, mit denen ich mich beschäftigt habe.»
    «Er ist tot.»
    «Wer? Wolfgang Grees?»
    «Ja. Er ist im Atrium zu Tode gestürzt.»
    «Mein Gott!»
    Sie schwiegen wieder. Vielleicht hätte Carolin ihm diese Nachricht besser vorenthalten. Er war in denkbar schlechter Verfassung, und sie berichtete ihm vom Tod eines Patienten.
    «Ein Unfall oder Mord?», fragte Doktor Perl.
    «Ich weiß es nicht. Wie kommen Sie darauf?»
    «Er war ein umstrittener Mann. Manche behaupten, dass er käuflich war.» Wieder war er still. «Oder   … mir fällt da eine Sache ein», sagte er plötzlich. Carolin wollte nachhaken, doch sie merkte ihm an, dass er dabei war, seine Gedanken zu sortieren. «Es gab da Anfang des Jahres einen unglücklichen Vorfall, von dem ich allerdings nur gehört habe. Damals, als Wolfgang Grees sich den Arm verbrannt hat. Eine junge Frau ist gestorben.» Wieder überlegte er einen Moment, und Carolin konnte direkt unter sich seinen angestrengten Atem hören. «Ich meine, es war eine Polin. Daran habe ich nicht gedacht. So ganz genau weiß ich nicht darüber Bescheid, weil ich eigentlich nichts mit der Sache zu tun hatte. Aber es könnte sein   …» Er atmete schwer.«Mein Gott, ich konnte nichts dafür. Man hatte mich nicht informiert!»
    «Was ist passiert?»
    «Um Himmels willen, so genau weiß ich es auch nicht. Ich habe ja selbst nur am Rande davon erfahren. Sagen Sie, hatte der Schweißer einen polnischen Akzent?»
    «Nein, er war Deutscher, mit Sicherheit!»
    «Ja, das meine ich auch. Er hat zwar kaum gesprochen, aber ich kann mich nicht erinnern, dass er einen osteuropäischen Tonfall hatte. Sonst wäre ich vielleicht eher dahinter gekommen.»
    «Hinter was?»
    «Hinter diese Geschichte. Meine Frau hat mir davon erzählt, aber ich muss zugeben, ich habe nicht so genau hingehört. Ich dachte einfach, dass es nichts mit mir zu tun hat. Ich habe es mir leicht gemacht. Verdammt, warum habe ich nicht nachgehakt?» Er erwartete keine Antwort. «Schmidt-Katter hat mir versprochen, dass ich nichts damit zu tun haben würde. Und ich Idiot habe ihm geglaubt. So ein Unsinn, ich bin Arzt, natürlich habe ich etwas damit zu tun, wenn ein Mensch in unserem Betrieb stirbt.» Doktor Perl schien jetzt nur noch mit sich selbst zu reden. «Ich hätte damals auf meine Frau hören sollen. Sie war außer sich. Sie wollte erst gar nicht hier mitfahren. Mit solchen Unmenschen wollte sie nicht an Bord gehen, hat sie gesagt. Aber ich habe sie überredet.» Seine Sätze boten Carolin keine Gelegenheit, etwas von dem Sinn dahinter zu begreifen.
    «Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?», fragte er sich immer wieder. Doch er blieb sich und auch Carolin eine Antwort schuldig.
    Und solange sie hier in diesem Gefängnis hingen, war es auch nicht von Bedeutung, ob er ihr eine Erklärung gab. Hier zählte nur, dass sie lang genug durchhielten.
    Als die Luke über ihr geöffnet wurde, glaubte sie erst an eine Täuschung. Doch dann fiel Licht auf sie herab, und sie bekam frische Luft in die Lungen. Endlich. Viel länger hätte sie nicht durchgehalten. Der Mann, der ihr schweigend seinen kräftigen Arm entgegenstreckte, schien ihr zuerst unbekannt. Erst als er lächelte, kamen ihr die

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