Halbmondnacht
gefälligst machen, dass ich auf die Füße und wieder hinauf zu Rourke käme. Ich versuch’s ja. Sieh zu, dass du erst mal mit Selenes Bann fertigwirst.
Von hoch oben hörte ich Selenes Stimme, und ich blinzelte durch ein halbgeschlossenes Lid hinauf.
»Das war eine leichte Übung, fein! Ich hab’s dir ja gesagt: Du bist keine Gegnerin für mich.« Jetzt stand sie auf den Sohlen von Rourkes Stiefeln, genau dort, wo ich eben noch gewesen war. Zorn kochte in mir hoch. Weg von ihm, Dreckstück!
Sie hatte uns mit demselben Todesbann belegt, den sie schoneinmal gegen uns eingesetzt hatte. Aber sie wusste nicht, dass ich ihren Bann hatte brechen können. Momentan sah ich nichts als Rot vor Augen. Aber es brannten sich keine roten Linien in meinen Verstand. Rasch hatte sich dort ein goldener Schutzschild aufgebaut, und alles Rot, das mich angegriffen hatte, war hinausgedrängt worden, ehe es sich festsetzen konnte.
»Bist du schon tot, Schlampe, oder brauchst du ’ne zweite Packung?« Ihre Stimme hatte einen neugierigen Unterton, wahrscheinlich weil ich noch nicht krampfte, was sie als Reaktion auf ihren Bann ja erwartete.
Ich lag reglos da, blinzelte durch fast geschlossene Lider zu ihr hoch und versuchte, mich tot zu stellen. So gewann ich vielleicht genügend Zeit, um mir meinen nächsten Zug zu überlegen. Rourke brauchte mich, und zwar sofort. Rechts oben in der Kuppel erkannte ich eine Bewegung. Eamon. In aller Stille hatte er seine Schwester von dem Netz befreit, in dem sie gefangen war. Möglicherweise bereute er seinen Verrat endlich, jetzt, da er wusste, dass seine Angebetete ihn am liebsten tot sähe. Selenes ganze Aufmerksamkeit gehörte allein mir. Ich hatte vor, daran erst einmal nichts zu ändern. Aber ehe ich Krampfanfälle vortäuschen konnte, traf mich ein weiterer Magieblitz voll in die Brust.
»Warum bist du noch nicht tot?«, erregte sich Selene lautstark. »Meinen Todesbann kann niemand überleben.«
Jetzt musste ich gar nichts mehr vortäuschen. Ich krampfte, zuckte wild. Aufs Neue vibrierte Rot wie ein mächtiger Glockenschlag durch meinen Körper; rote Zaubermacht überschwemmte mich und brandete gegen meinen Schild aus Gold. Ich erschauerte und stöhnte. Dieses Mal ist es vielleicht doch zu viel , keuchte ich. Meine Wölfin stupste mich mit der Schnauze an, während Selenes erneuerter Todesbann mich einen Veitstanz aufführen ließ. Wieder legte sich ein roter Schleier über meine Sinne, aber auch das kannte ich schon; es gab keine roten Linien, die ihr Netz um mein Sein spannten.
»Stirb, Missgeburt!«, kreischte Selene, als ich erneut aufstöhnte. »Sobald du tot bist, wird dein Gefährte wieder mich lieben.«
»Niemals.« Seine Stimme von oben war nicht mehr als ein Flüstern.
Schlagartig endeten die Krämpfe.
Mein Herz raste wie ein Windhund. Die Stimme meines Gefährten wogte durch mich hindurch und löste unzählige Reaktionen aus. Meins. Mein Zorn speiste eine neuerliche Woge Energie in meinen goldenen Schild ein, und Selenes Rot, das noch in mir nachhallte, zersetzte sich, als hätte ich Säure darüber ausgekippt. Meine Hände heilten noch im selben Augenblick. Meine Wölfin knurrte und blaffte, drängte mich, aufzuspringen und die Hexe endlich in Stücke zu reißen.
Anstatt ihr nachzugeben, blieb ich reglos liegen.
»Du gehörst mir!« Selene rüttelte an Rourkes Ketten. »Deine Gefährtin stirbt. Hast du gehört? Sobald sie tot ist, gibt es nichts und niemanden mehr, der unser Beisammensein stört.«
»Gehöre … nicht dir«, würgte Rourke heiser hervor, »war nie … deins.«
Ich versuchte, Rourke mental eine Botschaft zu schicken. Dabei hatte ich keinen blassen Schimmer, ob Gefährten eine Gedankenverbindung eingehen. Rourke, bitte, hör auf mich und spiel mit. Ich bin nicht tot. Ich bin hier. Selenes Zauber wirkt bei mir nicht. Sag ihr, dass du sie liebst, Herrgott nochmal! Tu alles, damit sie die Ketten löst, tu alles, was dich hierher zu mir nach unten bringt. Meine Wölfin gebärdete sich in meinem Kopf wie rasend, als ich das vorschlug. Ich ging nicht weiter auf sie ein.
»Du warst immer schon gestört«, flüsterte er Selene stattdessen zu. »Bring mich um, tu’s gleich. Ohne sie will ich nicht leben.«
Eigensinniger Kerl. Es geht los , signalisierte ich meiner Wölfin. Selene ist ganz mit Rourke beschäftigt. Genau der richtige Zeitpunkt, um den nächsten Zug zu machen.
Aber bevor ich aufspringen konnte, spürte ich einen Windhauch, und Selenes
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