Halbmondnacht
auf, bis das Gift der Camazotz die beiden am Ende dann doch tötet.«
»Das kann nicht stimmen. Sie sind doch Übernatürliche!« Mit den Augen suchte ich Dannys reglosen Körper ab.
Eamon hatte recht. Keine der Wunden schloss sich.
»Naomi wird das Blut eines Unsterblichen brauchen, um eine Überlebenschance zu haben. Meines kann sie leider nicht trinken. Wir sind zu eng miteinander verwandt. Mein Blut besitzt die Eigenschaften nicht, die es zu ihrer Heilung haben müsste. Aber Blut ist der einzige Weg, sie zu retten. Camazotz -Gift ist unglaublich machtvoll.«
»Was ist mit Danny?«, rief ich erschrocken. »Was kann ihm helfen zu heilen? Er trinkt kein Blut.«
»Das weiß ich nicht.«
Tyler kniete sich neben mich. »Niemand nährt einen Vampir, Jessica. Also denk nicht mal darüber nach, kapiert?«
So zu tun, als wüsste er nicht ganz genau, was ich dachte, wäre reine Zeitverschwendung gewesen. »Tyler«, widersprach ich also, »wir müssen an die Sache ganz vernunftgesteuert herangehen. Wenn wir die Chance haben, ein Leben zu retten, dann sollten wir sie ergreifen.«
»Jess«, stieß Tyler zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »Wölfe und Vampire geben sich nicht miteinander ab. Das haben sie noch nie. Sie sind immer schön auf Abstand zueinander geblieben. Naomi hat von ihrer Königin einen Auftrag erhalten. Es ist nicht unser Problem, wenn sie deswegen stirbt. Das war das Risiko, dass ihre Königin wissentlich und willentlich eingegang…«
»Ich mach’s.« Dannys Stimme brach, unter Schmerzen rang er nach Luft. »Gebt ihr ruhig mein Blut. Ich habe sowieso schon jede Menge davon verloren. Aber solange noch etwas davon da ist, soll sie es haben.«
KAPITEL ZEHN
M it offenem Mund starrten mein Bruder und ich auf Danny hinunter. »Oh Danny, musst du denn ausgerechnet jetzt wieder zu Bewusstsein kommen!«, meinte ich geradezu flehentlich. »Hast du große Schmerzen?« Ich wollte schon die Hand nach ihm ausstrecken, ihn streicheln, um ihn zu beruhigen, zu trösten. Doch dann hielt ich inne. Ich wollte ihm auf gar keinen Fall noch mehr Schmerzen zufügen.
Nichts heilte. Die Wunden waren eine einzige eiternde Sauerei.
Tyler beugte sich tiefer zu Danny hinab. Seine Stimme war ein Abbild seines Seelenzustands: Schmerz klang darin an, Trauer, Wut, Ohnmacht. »Danny, du bist nicht bei dir. Du redest Unsinn, halluzinierst. Schlaf bitte wieder ein, schlaf!« Tyler suchte meinen Blick. »Wir müssen dafür sorgen, dass er wieder das Bewusstsein verliert. Ihn so leiden lassen, das dürfen wir nicht!«
»Nein«, wisperte Danny, seine Lippen bewegten sich kaum. »Gebt ihr … mein Blut. Jetzt gleich.«
Ich drehte mich zu Eamon um. Dessen Gesicht war grimmig. Er mochte die Idee offenkundig genauso wenig wie ich. Ganz sanft strich ich Danny das Haar aus der Stirn. »Danny, du bist zu schwer verletzt. Du hast auch schon viel zu viel Blut verloren. Ich kann dich das nicht tun lassen.«
»Sie braucht es.«
Ich blickte zu Naomi hinüber. Er hatte recht. Keiner der beiden schien das Ganze aus eigener Kraft überstehen zu können. Danny sah entsetzlich aus, aber Naomi hatte der Angriff der Höllenbrut noch schlimmer zugesetzt. Sie war so viel zierlicher als Dannyund viel länger als er zerbissen worden. Die Biester hatten sie bis zur Unkenntlichkeit zerfleischt. »Was das angeht, Kumpel, will ich dir gar nicht widersprechen. Trotzdem kann ich es dich nicht tun lassen«, sagte ich.
Unverhohlen wütend blitzte Tyler mich an. »Denk nicht mal daran, Jess, vergiss es!«
»Warum denn?«, schnauzte ich zurück. »Die Wölfe werden mich doch so oder so nicht akzeptieren. Ich war eine Außenseiterin vom Tag meiner Geburt an.« Gefühle kochten hoch, und mein ganzer Körper war gespannt wie eine Bogensehne. »Warum sollte ich mich dagegen entscheiden, ein Leben zu retten, wenn ich es kann? Vor allem, wenn es auch noch das einzig Richtige ist.«
»Weil es eben nicht das einzig Richtige ist!«, bellte Tyler und sprang auf die Füße. »Die Vampire und wir sind Erbfeinde. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte man unsere Art schon vor langer Zeit ausgelöscht. Immer schon haben sie die Oberherrschaft über alle anderen Übernatürlichen gewollt. Ihre Königin darf und kann nicht von dir erwarten, dass du dieses Vampirmädchen rettest.« Wütend gestikulierte er in Richtung Naomi. »Das werden die Wölfe mit Sicherheit weder gutheißen noch schlucken.«
»Was dein Bruder sagt, ist richtig«, mischte sich nun Eamon
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