Halbmondnacht
Leben gerettet hat, Kumpel«, sagte ich. »Das war ein klein wenig undankbar, findest du nicht auch? Aber ich glaube, angesichts der Umstände sind wir alle bereit, dir zu vergeben.«
»Mir das Leben gerettet?«, fragte er fassungslos. »Wie soll das denn gehen? Das Ding hat mir ziemliche Schmerzen verursacht.«
»›Das Ding‹ gehört Naomi und ist ein mit einem Zauber belegtes Kreuz. Es befreit den Träger von all dem schlimmen Zeug, ohne ihn dabei gleich umzubringen. Das Kreuz muss Naomi ein Vermögen gekostet haben.«
»Tja, dann bin ich nicht nur ein klein wenig, sondern sogar mächtig undankbar. Ich danke dir von Herzen, Naomi!«, riefDanny in den Wald. Jetzt, wo das ganze eitergelbe Giftzeug weg war, erholte sich sein Körper erfreulich schnell.
Als Naomi von ihrer Suche zurückkam, stand Tyler auf. Mit Bedacht schlug er einen maßvollen Ton an. »Woher hast du gewusst, dass wir das Ding brauchen würden?« Er zeigte auf das Kreuz, das Naomi in Stofffetzen ihres Oberteils eingehüllt hatte. Es war ja auch nicht nötig, sich noch einmal die Finger daran zu verbrennen. »Hat eure Königin gewusst, dass wir uns früher oder später Unterweltlichem gegenübersehen würden?« So maßvoll der Ton war: Seine Anspannung machte sich in seiner Stimme bemerkbar. »Oder hast du zufälligerweise immer einen Heilzauber für alles und jedes in deiner Tasche nur für den Fall, dass du in eine Notlage wie diese gerätst?«
Trotzig erwiderte Naomi Tylers Blick. Aber neben Trotz war da auch eine gute Portion Herausforderung spürbar. »Ich trage dieses Kreuz immer bei mir. Ich lasse es nie aus den Augen. Niemals.« Naomi bückte sich und hob das Täschchen, in das das Kreuz gehörte, vom Boden auf. Sorgfältig verstaute sie das magische Schmuckstück darin und steckte es zurück in die Hosentasche.
»Wie unglaublich praktisch, dass du gerade das Einzige, was Danny auf dieser Welt helfen konnte, bei dir hast«, stichelte Tyler jetzt. Er war auf Streit aus, ganz klar. »Ohne das da wäre Danny sicher draufgegangen.«
»Ich habe mir das heilende Kreuz in der Fron verdient und dafür geblutet«, gab sie zurück. »Selene würde es mir sofort wieder abnehmen, hätte sie Gelegenheit dazu. Aber es gehört jetzt mir. Ich bin auf ehrliche Weise dazu gekommen. Also spielt es auch keine Rolle, dass es zuvor ihr gehört hat. Fin. «
»Das Schmuckstück hat der Mondgöttin gehört?«, fragte ich. Kein Wunder, dass es gegen das Dämonengift geholfen hatte. Es war für eine Göttin gemacht.
Naomi nickte bedächtig. »Ja … hat es.«
»Na bitte!«, meinte Tyler anklagend und zeigte auf Naomi. »Das beweist doch alles! Naomi und Selene kennen einander. Hast du das gewusst?« Mit lodernden Augen wandte er sich an mich. »Wir dürfen ihnen nicht blindlings vertrauen, jetzt nicht mehr, Jess! Wenn wir das tun, ist das unser aller Tod, ich sag’s dir! Die Königin hat uns zwei Vampire mitgegeben, die ausgerechnet mit der Göttin in Verbindung stehen, die wir zur Strecke bringen wollen. Hier wird nicht fair gespielt. Das Ganze ist eine abgekartete Sache.«
Für Erste ging ich nicht weiter auf Tylers Schimpfkanonade ein. Stattdessen kniff ich die Augen zusammen und musterte Naomi eingehend. Schmerz und Schuldgefühle las ich in ihrem Gesicht, ehe sie den Blick abwandte. Ich wagte eine Vermutung zu äußern. »Du hast gesagt, du hast dir das Kreuz in der Fron verdient und dafür geblutet.« Ich zeigte auf die Jeanstasche, in der das Kreuz steckte. »Du hast Selene gedient?«
»Oui« , gestand Naomi mit dünner Stimme und wandte mir wieder das Gesicht zu.
»Freiwillig?«
Sie zögerte, Sekunden verstrichen. »Oui.«
»Eure Königin ist ganz schön gerissen, ich muss schon sagen!« Ihre zwei besten Fährtensucher in dem Wissen zu entsenden, dass sie den Feind besser kannten als wir, hatte ein ganz schön heftiges Provokationspotenzial. »Hat eure Königin euch befohlen, uns diese Verbindung zu verschweigen?«, fragte ich.
»Wir sollen euch so wenig Hilfestellung gewähren wie sonst auch. So lautet die allgemeine Regel, wenn wir uns Übernatürlichen einer anderen Art gegenüber verpflichten. Die Königin musste uns nicht erst gesondert Schweigen gebieten; es wird ohnehin von uns erwartet.«
»Was passiert jetzt, da wir nun wissen, dass dein Bruder und du in Beziehung zu Selene steht oder gestanden habt? Wie soll es weitergehen?«, wollte ich wissen. »Wenn ihr der Göttin gedienthabt, besitzt ihr Insider-Informationen. Mit eurem
Weitere Kostenlose Bücher