Hale 1 Piraten der Liebe
hastig die Schuhe an und Jons Kappe über den Kopf. Alle Instinkte warnten sie davor, Zeit zu vertrödeln.
Mit schnellem Schritt machte sie sich in die Richtung auf, in der sie das Zentrum der Stadt vermutete. Finster aussehende Männer und Frauen schlichen durch die Straßen. Cathy versuchte nicht hinzusehen und war froh, daß die Leute zu beschäftigt mit ihren eigenen fragwürdigen Vorhaben waren, um mehr als einen kurzen, desinteressierten Blick auf sie zu werfen. Es war klar, daß sie so schnell wie möglich eine Polizeistation finden mußte. Ziellos durch diese Hölle zu wandern war viel zu riskant.
Der Weg, auf dem sie gekommen war, verwandelte sich in eine breitere Straße, die auf beiden Seiten von flackernden Laternen beleuchtet war. Betrunkene Männer grölten schrecklich, während sie von einer Kaschemme in die nächste wankten. Einen Arm hatten sie meistens um die Taille irgendeiner primitiven Frau gelegt. Cathy wollte schon auf demselben Weg, auf dem sie gekommen war, umkehren, hielt jedoch inne. Wenn sie jemals in Sicherheit gelangen wollte, brauchte sie eine Richtung. In ihrer Bekleidung war es sicher nicht gefährlich, jemanden nach dem Weg zu fragen. Alle Salons, die sie sehen konnte, schienen von der gleichen Sorte zu sein. Ein Haus machte einen etwas ruhigeren Eindruck, und auf dem Schild draußen stand in ihrer Muttersprache >Red Dog<. Da Cathy praktisch überhaupt kein Spanisch sprechen konnte, entschied sie sich für dieses Lokal. Nur ein leise warnendes Gefühl hielt sie davor zurück, sofort einzutreten.
Aber sie mußte etwas unternehmen. Sie konnte schließlich nicht die ganze Nacht durch die Straßen wandern und darauf hoffen, zufällig einem Polizisten zu begegnen. Das war zu gefährlich. Außerdem würde Jon nach ihr suchen, sobald er ihre Flucht entdeckt hatte. Sie mußte schon vorher in Sicherheit sein. Warum nicht in einen dieser Salons gehen, zumal sie doch als Junge verkleidet war? Sie sah an sich herunter. Es war nicht der kleinste Hinweis auf ihre Weiblichkeit zu sehen. Sie mußte nur mit möglichst tiefer Stimme sprechen. Dann würde niemand auf die Idee kommen, daß sie eine Frau war. In diesem Teil der Stadt und zu dieser Tageszeit war das auch besser so.
Cathy holte Luft, zog die immer noch feuchte Mütze von Jon tief in die Stirn und ging betont jungenhaft durch die Schwingtür. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Trotzdem wurden ihre Bewegungen im Innern des Raumes sofort vorsichtiger. An den runden Tischen saßen trinkende Kerle, die sehr viel eher wie Piraten aussahen als die Mannschaft von der >Margarita<. Ganz sicher waren sie mit ihren rauhen Stimmen und der verkommenen Sprache keine Gentlemen. Die Frauen, die sie bedienten, brachten ihnen Aal und Whisky. Manchmal hielten sie inne, um sich spielerisch kneifen oder streicheln zu lassen. Das waren mit Sicherheit keine Ladys! Eher Huren! Cathy wurde beinahe rot, als sie sah, wie die Brust einer sehr freizügig angezogenen Frau plötzlich aus dem Mieder sprang. Die Frau kicherte und preßte die nackte Brust vor das Gesicht des Mannes, der sie angestoßen hatte. Die anderen ermutigten sie dabei mit obszönen Schreien.
»Tiere!« dachte Cathy mit einem Schaudern, während sie zur Bar ging. Offensichtlich waren alle Männer dreckige, abstoßende Objekte, und sie beschloß, niemals mehr zu heiraten, nicht einmal, wenn sie wieder nach Hause zurückgekehrt war. Sie hatte mittlerweile den Verdacht, daß sogar die meisten ehrenhaft erscheinenden Männer etwas von dieser typischen Brutalität in sich hatten.
Cathy stand an der Bar und zog wieder die Mütze tief in ihre Stirn. Sie war sehr darauf bedacht, keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie wollte Zeit gewinnen, um ein paar Eindrücke zu sammeln, bevor sie irgend jemand nach irgend etwas fragte. Der Barkeeper schien die beste Wahl zu sein. Er war ein großer, fleischiger Geselle mit gekräuselten, roten Haaren und einer überaus fleckigen, weißen Schlachterschürze vor dem Bauch. Er sah genauso unappetitlich aus wie jeder andere im Raum auch. Trotzdem hatte er einen Vorteil. Er war gelassen.
»Sir?« Wie wandte man sich an einen Barkeeper? Ach du liebe Güte, sie hätte daran denken sollen! Irgendwie konnte sie es sich nicht vorstellen, daß die Typen um sie herum so einen höflichen Titel benutzten. Es gab aber gar keinen Anlaß zur Sorge, denn der >Sir< hatte gar nicht reagiert.
»He, Sie!« versuchte sie es mit einer etwas lauteren Stimme. Dieses Mal
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