Hale 1 Piraten der Liebe
nächsten Morgen zurückkehrte. Dann wäre sie schon längst sicher in den Händen von anständigen Menschen. Wenn sie ihnen ihre Geschichte erzählte, würden sie Jon festnehmen und hängen... Nun, vielleicht würde sie nicht die ganze Geschichte erzählen, bis die >Margarita< fort war. Sie wollte keine Toten auf ihrem Gewissen haben. Gedankenverloren löschte Cathy die Kerze. Aus dem Fenster zu kommen war leichter gesagt als getan. Cathy war sehr zart gebaut, aber das Fenster schien viel zu eng für sie. Sie zappelte, schob und kämpfte, und gerade als sie glaubte, für immer steckengeblieben zu sein, kam sie plötzlich frei. Zum Glück hatte sie sich mit den Füßen voran aus dem Fenster gezwängt und das Seil erwischt. Andernfalls wäre sie kopfüber ins Wasser gefallen, und das hätte genug Lärm verursacht, um jeden Menschen im Hafen aufmerksam zu machen. So aber schaffte sie es, leise an der Bordwand der >Margarita< herunterzuklettern - abgesehen von ein paar sehr undamenhaften Flüchen. Sie schnappte nach Luft, als ihre nackten Füße mit dem Wasser in Berührung kamen. Es war kälter, als sie erwartet hatte. Nun, es hatte ihr niemand versprochen, daß eine Flucht eine lustige Angelegenheit war. Langsam glitt ihr Körper in das eisige Wasser. Ein bißchen kaltes Wasser konnte doch niemanden umbringen! Cathy verscheuchte mit aller Kraft ihre Bedenken.
Das Schwimmen würde sie warm halten. Der Mond war noch nicht aufgegangen, und das Wasser sah schwarz aus. Glücklicherweise war der Strand noch dunkler. Er sah wie eine Linie aus, die mit kleinen Lichtpunkten übersät war. Sie holte noch einmal tief Luft, dann stieß sie sich ab. Sie schwamm in regelmäßigen Zügen. Das einzige Problem war die Mütze. Immer wenn Cathy mit dem Kopf unter Wasser kam, schwamm sie davon. Kaum hatte sie sie wieder geholt und aufgesetzt, passierte das gleiche. Schließlich nahm sie sie ab. Am liebsten hätte sie sie so weit wie möglich von sich weggeworfen. Sie beherrschte sich aber, denn sie würde die Mütze brauchen, sobald sie an Land war. Sie nahm sie schließlich zwischen die Zähne. Das Ding schmeckte ungefähr so, als habe es jemand in eine Rumflasche getaucht, und wie sie Jon kannte, war das wohl auch der Fall.
Cathy schien es, als schwimme sie schon seit Stunden, und der Strand sah noch genauso entfernt aus wie zu Anfang. Sie warf einen Blick zurück auf die >Margarita<, um sich zu vergewissern, daß sie in der richtigen Richtung schwamm. Das Schiff lag immer noch direkt hinter ihr. Cathy wollte sich gerade zu ihren glänzenden Navi-gationskünsten gratulieren, als ihr etwas auffiel. Beinahe wäre sie vor Schreck untergegangen, als sie einen zweiten Blick auf das Schiff warf. An seiner Seite hing eine auffällige, weiße Leine herunter. Die Bettücher! »Verdammt und verflucht! « stieß Cathy hervor und benutzte, ohne es zu merken, einen von Jons bevorzugten Flüchen. Sie hatte bereits die Hälfte der Strecke durch die Bucht zurückgelegt. Wenn sie das Seil aus dieser Position noch so genau erkennen konnte, mußte es auch von der Stadt aus gut sichtbar sein. Sie hätte es herunterziehen müssen! Jetzt war es zu spät, und sie schwamm mit neuer Kraft auf den Strand zu. Sobald einer von der Mannschaft das erste Mal zum Schiff hinsehen würde, würde man sie vermissen.
Sie konnte nichts tun, als so schnell wie möglich zu schwimmen und zu beten, daß die Männer voll und ganz mit ihren Träumereien beschäftigt waren und keine Blicke auf das Schiff verschwendeten. Cathy schwamm, bis sich ihre Arme anfühlten, als würden sie gleich herunterfallen. Ihr Atem rasselte in ihrer Kehle, und ihre Zähne klapperten vor Kälte, aber sie hielt durch. Gerade als sie anfing, daran zu zweifeln, ob sie es je schaffen würde, stießen ihre Füße hart auf den Grund. Sie war da! Als sie aufstand, fühlte sich der schlammige Boden unter ihren Füßen wie der allerfeinste Teppich an. Sie lachte fröhlich und schlang ihre zitternden Arme um ihren nicht minder kalten Körper. Dann watete sie an Land.
Der Gestank stieg ihr bereits in die Nase, noch bevor sie trockenen Boden unter ihren Füßen hatte. Er war süß und verrottet und mochte sich aus vergammeltem Fisch, Müll und Fäkalien zusammensetzen. Cathy schüttelte sich. So etwas hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gerochen.
Als sie neben dem hölzernen Dock durch den Sand stapfte, wurde ihr klar, daß sie in einem extrem üblen Viertel der Stadt gelandet war. Cathy zog sich
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