Hallo, Fräulein!: Winterzauber (German Edition)
mit der Endausfertigung kaum mehr nach. Folglich wirkt die Vitrine halb leer. (Optimisten würden behaupten sie sei halb voll, aber leider sind uns diese aufmunternden Gesellen gerade ausgegangen.)
Ich komme hingegen mit dem Abräumen der Tische kaum hinterher, da hört man schon wieder der Oberin liebsten Spruch: »HALLO, Fräulein!«
Es ist wirklich zum Verrücktwerden. Scheinbar glaubt ein jeder, er sei allein auf der Welt.
Unsere Platzierdame hat heute vor den Toren Zum Glückseligen Frieden – sprich im Eingangsbereich unseres Cafés - eine purpurrote Kordel gespannt. Diese sollte eigentlich bewirken, dass sich jeder ankommende Gast artig dahinter anstellt. Und er sollte dort gerade einmal so lange verweilen, bis ihm ein sauberer Tisch zugewiesen wird. Dieses System funktioniert überall auf der Welt. Amerikaner, Engländer, Japaner richten sich danach; ja sogar bis Italien hat sich diese simple Form der Kultiviertheit herumgesprochen. Aber die Unsrigen scheinen diese Benimmsitten nicht und nicht kapieren zu wollen. Die profilierte Stoppkordel wird rücksichtslos umgangen. So manch antike Lady nimmt sogar Anlauf und hechtet über die hinderliche Barriere, nur um den heiß begehrten freien Tisch ja noch ergattern zu können. Ehrlich!
Heute prügeln sie sich nahezu um die Tische. Ich könnte an Tagen wie diesen die raren Sitzgelegenheiten uneingeschränkt zum Höchstpreis verscherbeln. Das wäre garantiert eine lukrative und profitable Zusatzeinnahmequelle.
Ich bin überaus froh, als ich Frau Grabner, eine der wenigen unkomplizierten Gäste, in meinem Servicebereich ausmache. »Guten Tag, Frau Grabner«, sage ich erleichtert und nehme ihr flugs den Mantel ab.
»Vielen Dank für die Reservierung, meine Liebe. Ich bin dermaßen abgehetzt. Es ist wirklich schlimm, wie es heute in der Stadt zugeht, ich kann’s dir gar nicht beschreiben.«
»Ja, wem sagen Sie das«, erwidere ich zustimmend. »Darf ich Ihnen schon etwas anbieten?«
»Bitte sei so lieb und bring mir ein Gläschen Sekt! Den kann ich jetzt gut gebrauchen. Mit dem Kaffee warte ich noch auf meine Freundin. Die müsste in zwanzig Minuten hier sein.«
Diese Frau ist Balsam für die angeknackste Kellnerseele, das kann ich Ihnen versichern.
Frau Grabners Freundin erscheint pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt im berstend vollen Coffee-Shop.
So weit, so gut.
Ich nehme einstweilen die Bestellung des Nebentisches entgegen und stehe dadurch mit dem Rücken zu den beiden Frauen, die sich gerade lauthals begrüßen; folglich kann ich Frau Grabners Freundin nicht aus dem Mantel helfen und ich muss hierbei gestehen, dass ich bis dato auch nicht sonderlich auf den Neuankömmling geachtet habe, bis ... ja bis ...
Mit einmal wird es in meinem unmittelbaren Umkreis verdächtig ruhig. Alle Antlitze richten ihren Blick auf eine Attraktion, die sich offenbar hinter meinem Rücken verbirgt. An dieser Stelle schnappe ich das Gespräch der beiden Freundinnen auf.
»Aber Gretchen, du hast ja keinen Rock an!«, höre ich Frau Grabners aufgebrachtes Stimmchen flüstern.
»Ah, ja! Ich dachte mir schon, dass ich was vergessen habe«, erwidert ihre Freundin etwas konfus.
Ich drehe mich blitzschnell um. Da steht das Übel in Form von Gretchen und ist tatsächlich Unten ohne ! Nun, oben herum ist sie tadellos bekleidet, aber unterhalb der Gürtellinie trägt sie nur einen langbeinigen Schlüpfer. Ihr schützender Mantel lungert derweilen lustlos auf der Sitzbank herum.
Verdammt, warum muss das ausgerechnet mir passieren?
Das offensichtlich verwirrte Weiblein schlägt unterdessen mitten im Kaffeehaus Wurzeln und blickt unbeeindruckt auf ihren nicht vorhandenen Rock hinab. Ich stürze reaktionsschnell auf sie zu, kralle mir ihren Wollmantel und werfe ihn eilends über ihre Schultern. Gretchen lugt mich daraufhin erschrocken an. Ich weiß nicht, wer von uns beiden in dieser Situation mehr Contenance verloren hat: Sie oder ich. Ich bin jedenfalls baff. Meine Schrecksekunde wird zur Schreckminute. Ich erwartete an dieser Stelle, dass Gretchen ihre sieben Zwetschken zusammenpacken und wieder nach Hause pilgern würde, aber weit gefehlt.
»Vielen Dank, Amelie«, gibt Frau Grabner, die zuerst die Worte wiedergefunden hat, zurück. »Soll ich auf dich warten, Gretchen?«, fragt sie im Anschluss in Richtung ihrer Freundin.
»Warum warten?«, will diese wissen.
(Das gute Gretchen scheint noch immer verstört zu sein.)
»Ja, du wirst dir doch bestimmt zu Hause einen Rock
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