Hallo, Fräulein!: Winterzauber (German Edition)
unüblichen Zeit auf und begutachte die Präsente meiner besten Freunde. Von Caro habe ich einen herrlichen indianischen Traumfänger geschenkt bekommen, Alex hat uns eine gerahmte Fotografie, auf der wir alle fünf bei unserem letzten Theaterabend abgebildet sind, zugedacht, Elvira hat mir eine gläserne Bonbonschale zugesteckt (leider ist diese bis obenhin mit diversen Leckereien gefüllt. Ich sage leider, da mein diesjähriger Silvestervorsatz - alle Jahre wieder - den Verzicht auf Schokolade beinhaltet. »Keine Schokolade, keine Pickel« – lautet die Devise!) und von Nike habe ich einen burgunderroten Räucherkerzenhalter mit den dazugehörigen Vernebelungsstäbchen in Form von Nepal Grass erhalten.
Ich hänge schließlich den Traumfänger über meinem Bett auf und hoffe dabei inständig, dass er dort heute noch seine Wirkung zeigt. Die Fotografie passt prima zwischen Türstock und Spiegel(ich werde gleich frühmorgens einen Nagel an besagter Stelle ins Mauerwerk rammen), die Bonbonschale findet auf meinem Nachtkästchen einen Platz vor (diese kalorienhaltigen Bomben müssen ab jetzt griffbereit sein, denn immerhin muss ich die Leckereien bis zum einunddreißigsten Dezember verschlungen haben. Natürlich ist mir der Gedanke gekommen, die Pickelankurbler zu verschenken, aber das wäre gegenüber Elvira gewissermaßen unhöflich und das bin ich nun mal nicht) und den Räucherkerzenhalter stelle ich auf dem Fenstersims ab.
So, es ist jetzt exakt 3:30 Uhr. Ich werde nun gleich mal die Nepalesischen Gräser entfachen, mir etwas Schokolade gönnen (diese Kombination sollte mir genügend Entspannung bieten) und mich in mein Bettchen werfen. Bevor ich zum wiederholten Male das Licht lösche, blicke ich noch einmal auf mein keusches Handydisplay: Die Ziffer null prangt dabei nach wie vor dauerhaft und unverändert auf der Anzeige.
Jetzt, nach dieser deprimierenden Erkenntnis, gehe ich endgültig schlafen. Ich funkle dabei gereizt meinen neuen Traumfänger an.
»So, gute Nacht! – Ebenfalls! – Danke schön!«
... Und ... Licht aus!
Gerade als ich schlummrig entschlafen bin, trifft der Lichtstrahl des Vorraums meine erschrockenen Pupillen. Jemand hat meine Zimmertür so kräftig aufgestoßen, dass ich beinahe das Gefühl habe, die stämmige Tür würde jeden Moment aus der Angel fallen. Ich bin irgendwie total im Fog der Räucherstäbcheninvasion eingehüllt und kann im Augenblick keinen klaren Gedanken fassen. Im Türrahmen steht eine tobende Gestalt, die von Licht umhüllt wird. Ich kämpfe gegen die plötzlich auftretende Helligkeit blinzelnd an. Vorsichtig hebe ich den Kopf an und ... ojemine ... muss mit Entsetzen feststellen, dass ich schreckliche Kopfschmerzen verspüre.
»Hier brennt’s irgendwo!«, ruft Nike aufgeregt. »Der beißende Rauch ist bis in mein Zimmer vorgedrungen. Oh, du meine Güte! Hast du etwa das Räucherstäbchen komplett abgefackelt?«
»Ich konnte nicht einschlafen und habe mir so ein wenig Abhilfe geschaffen«, erkläre ich ihr verdutzt.
»Ach, bin ich froh, dass ich zuerst nach dir gesehen habe. Ich wollte schon die Feuerwehr alarmieren.«
»O mein Kopf zerplatzt«, erkläre ich Nike, um etwas Mitleid für meine überaus bedauerliche Notlage zu schinden, aber sie eilt nur schnurstracks zum Fenster, entfernt meine plastisch strukturierte Ansammlung an Kleinkrimskrams vom Sims und reißt es prompt auf, um der bitterkalten Winternacht Eintritt in mein Reich zu gewähren.
»Das kann ich mir vorstellen. Ich hätte auch einen Brummschädel, wenn ich ein ganzes Räucherstäbchen in einem abgeschlossenen Raum abgefackelt hätte«, erklärt sie mir. »Komm, lass uns rasch alle Fenster öffnen und die Wohnung richtig durchlüften, nicht dass die Nachbarn doch noch auf den nicht so abwegigen Gedanken kommen, die Feuerwehr zu rufen«, schlägt sie kurzerhand vor und entzieht mir dabei unsanft die Bettdecke. »Ich werde inzwischen auch Wasser für einen Früchtetee aufsetzen.«
4.25 Uhr! Endlich schlafen. Ich liege in meinem sauerstoffdurchfluteten Schlafgemach, meine hinreichend geräucherten Gehirnwindungen machen mittlerweile wieder meinem klaren Verstand Platz und ich bin hundemüde. Noch ein klitzekleiner Blick aufs verwaiste Handy: Shit! Null Anrufe in Abwesenheit.
Auf der anderen Seite wäre Francesco wohl nicht ganz bei Sinnen, wenn er mich zu dieser frühen Morgenstunde anrufen würde.
Zeitablauf
Man läuft oft einem Traum nach,
und wenn man ihn
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