Hallo, Fräulein!: Winterzauber (German Edition)
Frau DOKTOR Haller fassungslos.
»Aber Madam, ich glaube, die Bedienung hat Ihnen diesen Tisch dort drüben zugedacht!«, erwiderte der Herr ruhig und deutete auf den einzig freien Tisch in der Raummitte, der derzeit noch ein Namenskärtchen aufzuweisen hatte. »Und, beiläufig, ein gut gemeinter Rat: Beeilen Sie sich, sonst ist nämlich dieser Platz dort auch vergeben! So, und nun entschuldigen Sie mich, ich möchte mein Essen noch einigermaßen warm genießen!«
»Unverschämtheit!«, giftete sie den Herren nachäffend an, um sich danach an meiner Wenigkeit auszutoben: »Als Stammgast 30 könnte man doch erwarten, dass man bevorzugt behandelt wird, aber ...« An dieser Stelle durchfuhr ein tiefer Seufzer ihre Giftlungenflügel. »Nein, komm Ludwig, wir müssen ja nicht hier speisen! Wir werden einfach zur Konkurrenz wechseln!«
(O die Armen! Die werden mich bis in alle Ewigkeit verdammen!)
Ich war zwischen den informativen Belehrungen, was Stammgäste betraf, und den Schimpfparolen, die beharrlich auf mich niederprasselten, nicht untätig geblieben und hatte die artig wartenden Touristen, die sich um den einzig unbesetzten Tisch gehortet hatten, unverzüglich aufgefordert, dort Platz zu nehmen.
»Auf Wiedersehen, Frau DOKTOR!«, rief ich dem entschwindenden Hintern von Madam Affektiert überfreundlich nach. Ihren Mann habe ich allerdings zutiefst bedauert. Der arme Kerl hatte sein Mitspracherecht wahrscheinlich an jenem schicksalhaften Tag verwirkt, an dem er den größten Fehler seines Lebens begangen hatte. Dabei hatte er damals nur ein Wort gesagt: Es beginnt mit »J« und endet mit »A« … ich will!
Das waren die bescheidenen Abenteuer des Freitags! Und nun, als kleine Aufmunterung sozusagen, hätte ich mir entschieden einen netten Anruf von Francesco verdient.
Aber: Null Anrufe in Abwesenheit (ich konnte diese deprimierende Anzeige langsam nicht mehr sehen).
Nun, was soll’s! Ich bin ja ohnedies ein begeistertes Singleweibchen! Ich habe zuletzt im Womanizer einen Artikel gelesen, den ich interessant, informativ und irgendwie zu mir passend fand. Der Inhalt besagte, dass wir Menschen in der kalten Jahreszeit viel eher zum Nesttrieb neigen, als im Frühling oder im Sommer! Bei Kälte bleiben wir gerne zu Hause, erwärmen uns am knisternden Kaminfeuer und verbringen die dunklen Winternächte in kuscheliger Zweisamkeit (das sind sicherlich alles Relikte aus der guten, alten und zumeist bitterkalten Zeit). Anno dazumal mussten wir uns gegenseitig Wärme spenden, um über den strengen und frostigen Winter zu kommen. Dieses damalige Verhaltensmuster sollte aber angeblich weiterhin so tief und fest in der Überlebensstrategie des Menschen verwurzelt sein, dass wir heutzutage auch noch davon Gebrauch machen. Wir bilden vorübergehende Interessengemeinschaften und nach den kalten Monaten driften wir wieder unbekümmert auseinander.
Nun muss ich mich aber wieder in das heutige Zeitalter zurückbeamen! Die unverpackten Geschenke für meine Familie liegen ausgebreitet auf dem Boden umher und schreien ex aequo nach einer originellen Verpackung.
Ich bin nach über einer halben Stunde des Zerschneidens, Klebens und Schnürens endlich mit dieser mühseligen Arbeit fertig und im Anschluss suche ich gleich eine anderweitige Beschäftigungstherapie.
Elvira und Alex gehen heute ins Kino, um sich diesen furchtbaren Film, den ich mir montags einverleibt habe, anzusehen; Caro verbringt den Abend bei ihrem Vater und Nike ist von Bernie in ein romantisches Wochenende entführt worden. Somit kann ich mich heute Abend so richtig schön in der Wohnung austoben.
Ich beschließe kurzfristig, die Küche mit meinem Besuch zu beehren. Ich glaube beinahe, dass unser Backrohr bislang nur für das Auftauen von Pizzen missbraucht worden ist und für nichts anderes. Es wird Zeit, dass ich ein paar weihnachtlich duftende Kekse in den Ofen schiebe, aber ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich keinen fertigen Lebkuchen- oder Mürbteig mehr erwerben kann, da bereits vor einer halben Stunde Geschäftsschluss war. Da ich mich von kleinen Hürden aber nicht aufhalten lassen will, sehe ich gleich nach, ob ich für mein Beschäftigungsprogramm ein geeignetes Rezept auftreiben kann. Ich habe ja noch keine Erfahrungswerte mit etwaigen Backvorgängen sammeln können, aber so schwierig wird das Ganze schon nicht sein!
Aha, unsere vielseitige Bibliothek - Lexikon, ein paar Krimis, jede Menge Liebeskitschromane, ein alter Schulatlas
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