Hallo, Fräulein!: Winterzauber (German Edition)
natürlich den Telefonhörer, ich bin gleich wieder da – ja dran bleiben, hörst du!«
Ich lege das Handy auf den Küchentisch und hechte zum Backrohr, schalte dieses sofort aus und öffne die Klappe. Eine dampfende, lichtundurchlässige Smogwolke entweicht und schlägt mir augenblicklich entgegen. Der dunkle Rauch wird unweigerlich von einem verkohlten Gestank begleitet. Ich fächere und fuchtle mit dem Geschirrtuch, was das Zeug hält, der erwünschte Erfolg bleibt dennoch aus – ganz im Gegenteil, die Wolke entwischt der Küche und breitet sich mit scheinbarer Genugtuung aus. Ich hechte rasch von Zimmer zu Zimmer und reiße kurz entschlossen und von Panik getrieben alle Fenster sperrangelweit auf. Begleitet wird mein rasanter Pilgermarsch von unzähligen Flüchen und Verwünschungen, die hauptsächlich meine eigene Torheit betreffen. Ich schieße wie ein Pfitschipfeil von einem Raum zum anderen, als meine hektische Treibjagd von der Türklingel unterbrochen wird.
Ich sause zur Eingangstür, drehe den Schlüssel um und öffne mit überschwänglicher Aktivität die Pforten Zur verkohlten Backstube und blicke gegenwärtig in die aufmerksamen Äuglein von Raffael.
»Hi!«, posaunt mir mein geschätzter Nachbar entgegen. »Ich wollte nur mal sehen, ob du unser Haus abfackelst und wenn ja, kann ich dir dabei eventuell zur Hand gehen?«
»Sehr witzig!«
»Und, was soll’s werden, wenn’s fertig ist?«, fragt Raffael amüsiert.
»Kommst du oder gehst du?«
»Ich bin gerade am Nachhauseweg, warum?«
»Habt ihr heute noch was vor?«, will ich wissen.
»Soweit ich weiß nicht, warum?«
»Gut. Dann werde ich euch, sobald ich dieses Chaos beseitigt habe, mit meinem Besuch beehren - wenn’s recht ist. Oh, keine Angst – ich komme nicht mit leeren Händen«, füge ich rasch an. »Ich bringe natürlich meine selbst fabrizierten Vanillekipferl mit. Ihr seid die Ersten, die sie probieren dürfen.«
»Welch Ehre«, entgegnet Raffael ironisch. »Aber wir werden die Dinger doch überleben, oder?«
»Haha! Oh, bitte entschuldige mich, ich muss dringend zurück in die Küche!«
»Das scheint mir auch so. Soll ich schon mal was zum Runterspülen kaltstellen? Ach, was frag’ ich so beschränkt«, mahnt er sich selbst.
»Und tschüss!«, rufe ich der zuknallenden Tür hinterher, bevor ich den Flur entlangsprinte und mich auf das rücksichtslos beiseite gelegte Handy stürze.
»Pronto, steht meine italienische Verbindung noch?«
»Ja, natürlich! Und, brauchst du nun eine neue Unterkunft oder hat die Feuerwehr mit der Brandbekämpfung bereits begonnen?«
»Also, meine ersten Vanillekipferl haben das Martyrium nicht überstanden, aber alles andere schon. Das heißt, meine beiden Nachbarn müssen die Kreation à la Amelie noch testen, und wenn sie’s überleben, dann hat niemand einen Schaden davongetragen.«
»Aber die müssen doch keine Briketts probieren, oder?«, fragt Francesco besorgt nach.
»Nein, nein! Ich werde einen zweiten Versuch starten. Aber nun zurück zu meiner Überraschung. Wann wird sie in etwa eintrudeln?«
»Anfang nächster Woche. Ich bräuchte eigentlich nur noch deine Adresse.«
(Ich habe Francesco ja nur meine Telefonnummer ausgehändigt.)
Nachdem wir das Gespräch beendet haben, schwinge ich in der Küche umher. Ich bin auf einmal inspiriert, glücklich, ausgeglichen und fühle mich rundum wohl. (Wenn ich dazu imstande wäre, dann würde ich nun Purzelbäume schlagen und Pirouetten drehen.)
Die Küchenzeile ähnelt zwischenzeitlich einem Fiasko: Die erste Ladung Vanillekipferl ist in der Mülltonne verschwunden; das überschüssige Mehl hat sich in sämtlichen Ritzen und Fugen eingenistet; der klebrige Teig haftet, wo er nur kann; der beißende Rauch hat sich mittlerweile verzogen und ist der bitterkalten Winterluft gewichen; die Spüle ist randvoll mit allerlei Behelfsgegenständen. Aber: Ich schwebe auf Wolke sieben! Heute könnte in der Stadt oder sonst wo der Ausnahmezustand ausbrechen, in meinem Umfeld hätte dieser momentan nicht die geringste Chance auf Verbreitung.
Um welche Überraschung es sich wohl handelt? Ich bin ja schon sooo neugierig! Ich werde ab Montag jeden Tag sofort und unverzüglich den Postkasten nach zweckdienlichem Material untersuchen.
Nachdem ich die Küche einigermaßen in Ordnung gebracht habe, marschiere ich schwungvoll und voller Enthusiasmus zu der Hausparty der beiden Burschen, zu der ich mich selbst eingeladen habe. In Händen halte ich einen
Weitere Kostenlose Bücher