Halloween
Körper, sondern ihres Bankkontos, ihres Hauses, ihres läppischen Lebens), das Ganze ein Kompromiss, mit dem keiner von beiden leben konnte, und Melissa packte die Mappe mit den halb ausgefüllten Formularen in den Aktenschrank im Keller, wo sie sie nicht sehen mussten. Aber während Brooks durch diese Straßen fährt, ist er davon überzeugt, dass die Leute bloß wegen ihrer Kinder hier wohnen.Ohne sie würde diese Kleinstadt nicht existieren, die guten Schulen die einzige Zugnummer. Wer würde hier schon gern leben, wenn er keine Kinder hätte?
Er und Gram sind die Antwort darauf – alte Menschen und Leute, die in der Stadt aufgewachsen sind, und beide sterben langsam aus. Es liegt eigentlich nicht an der Vermögenssteuer, das ist bloß die Spitze des Eisbergs. Avon hat sich verändert, ist richtig protzig geworden und wächst immer weiter; die Straßen wimmeln von Saabs und Lexus-Geländewagen, und Neubauten kosten mindestens eine halbe Million. Wenn er die alten Freunde seines Vaters in Luke’s Donuts trifft, beklagen sie sich wie die Opfer einer Besatzung, wehmütig und machtlos. Brooks hat das Gefühl, sie im Stich zu lassen, wenn er das Haus verkauft. Sobald er draußen ist, gibt es kein Zurück mehr.
Er gleitet an Tims Einfahrt vorbei, überprüft den Jeep nochmal, als könnte der Junge abgehauen sein, während Brooks gewendet hat. Er mustert die Fenster oben, unten, an der Seite. Es würde ihn nicht überraschen, wenn Tim ihn durch die Vorhänge beobachten würde, als litten alle unter demselben Verfolgungswahn wie er. Warum hat er sich mit Melissa gestritten, wenn sie doch offenbar Recht hatte? Er ist wirklich verkorkst. Er braucht tatsächlich Hilfe. Aber warum hat sie es dann nicht weiter versucht, war ihre Ehe – war er – es nicht wert?
(Jetzt geht das schon wieder los, sagt Toe, seine Doc Martens auf Brooks’ Kopflehne. Und dieser Typ läuft mit einer geladenen Pistole rum?
Fang du nicht auch noch an, sage ich.
Was?)
Es ist die schlimmste Zeit der Nacht. Wir haben uns satt, haben es satt, hier zu sein – als könnten wir irgendwo anders hin. Danielle ist noch bei Tim, Brooks nagt an seinen Problemen. Es sollte ruhig sein, Zeit zum Ausruhen, aber es gibt keine Pause.Brooks wird erst nach Hause fahren und ins Bett gehen, wenn bei Kyles Mom schon der Wecker rappelt. Sobald die Leute aufwachen und ihnen einfällt, welcher Tag heute ist, werden wir durch die Stadt hetzen, als Überraschungsgäste an Frühstückstischen auftauchen und mit Leuten duschen, die wir kaum kennen. Wie viele Eltern unserer Klassenkameraden werden auf dem Weg zur Arbeit an dem Baum vorbeifahren und uns dort posieren lassen (sagt mal Frostschutz!)? Wir werden immer wieder in der Schule sein, werden in Biologie und Werkunterricht auftauchen, zwischen den Bäumen am Rand des Fußballplatzes rauchen, uns hinter Mrs. M.s Tankstelle rumtreiben. Und dann kommen die Kränze und Blumen, die von den Irregeleiteten im CVS gekauften und unterschriebenen Karten, als ob wir sie lesen könnten (Toe tut es und macht sich lustig über die vorgefertigten Rührseligkeiten für unsere Eltern:
Möge Ihr liebes Kind Ihnen durch die Erinnerung immer nah sein. Walter und Liz Preston
). Bloß dem harten Kern zu folgen ist der leichte Teil. Doch in einer Stunde werden wir jedermanns verlorene Kinder sein, jedermanns bester Freund.
Aber im Augenblick hat uns Brooks in Gewahrsam. Wir sind seine Gefangenen und er ist unserer. Wir können uns bloß zurücklehnen und die Fahrt genießen.
(Hab ich dir nicht gesagt, es würde Spaß machen?
Dann hab ich eben gelogen. Los, bring mich doch um.)
M orgendämmerung der T oten
Im Osten färbt sich die Nacht lila, dann ist es ein Dämmerblau, das über dem Avon Mountain allmählich in Weiß übergeht (die Baumkronen trennen sich, werden sichtbar), und die Stadt erwacht. Die Betrunkenen sind längst verschwunden, aber die Singles sind bis spätnachts unterwegs und schleppen sich zu ihren Wohnblocks. In den Hügeln, an den neuen, vornehmen Straßen (ausschließlich Sackgassen) öffnen sich wie durch Zauberhand Hunderte von Garagentoren. Die teuren Autos laufen unbeaufsichtigt warm und blasen genug weißen Rauch für Tausende von Selbstmorden in die Luft.
Brooks gleitet über die 44 und sieht das übliche Bild, Autos, die den
Courant
ausliefern, Brotlaster, Geschäftsführer von Läden wie Bagelz oder Dunkin’ Donuts, die früh in die Stadt fahren, um während der Stoßzeit die Leute zu bedienen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher