Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Halloween

Halloween

Titel: Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
Vom Netzwerk:
freuen sich, ihn zu sehen, und heben einen Finger vom Lenkrad, ein Gruß, den er erwidert – eine Verbindung, die Gemeinschaft der Arbeitenden.
    Seine Schicht geht zu Ende, und das spürt er auch; schon das graue Licht ist zu viel für seine Augen. Das Gefühl, dem Rest der Welt voraus zu sein, ändert sich und erstarrt, als der Verkehr dichter wird; wie jede Nacht erweist sich seine kurze Herrschaft über Avon als Illusion. In ein, zwei Stunden wird er schlafen, unddann geht die Zukunft ohne ihn weiter. Alle scheinen ihn zu überholen, ihn hinter sich zu lassen, als steckte er im Gestern fest. Es ist wie sterben oder in einer anderen Welt leben, das Leben eines Vampirs.
    (Muss ich noch irgendwas sagen? So was wie: Willst du wirklich «Last Kiss» noch mal hören?
    Moment: So kommt es Brooks vor, wenn er Gram besucht, das ganze motelähnliche Pflegeheim eine Art Arche, die in totem Wasser durch die Zeit treibt. Auf dem Friedhof ist es genauso; deshalb ist Toe so scharf darauf, ein Geist zu sein.)
     
    Tim wacht viel früher auf als nötig, und
zack!
sind wir alle da – ich schwör’s, einen Augenblick lang sogar Kyle, der echte Kyle, Zigarettenatem, zerzauste Koteletten und alles, in dem Rage- T-Shirt und der schwarzen Levis, die er nie auszog. Taucht urplötzlich auf, und schon ist er,
peng!
, wieder verschwunden.
    (Yo, wo ist denn der bloß hergekommen?, fragt Toe.
    Er muss was damit zu tun haben, sagt Danielle.
    Vielleicht soll er das Ganze verhindern, sage ich.
    Vielleicht auch nicht, widerspricht Toe.
    Ach Scheiße, sagt Danielle.
    Ach Scheiße stimmt. Kyle ist viel ätzender als Toe.)
    Tim schielt auf den Wecker und lässt den Kopf wieder sinken, sein Atem heiß und faulig auf dem Kissen. Er fühlt sich anders, als wäre er ein anderer Mensch, aber dann fällt ihm der Plan ein, vollkommen, strikt und unausweichlich, taucht plötzlich vor ihm auf wie eine Website und verblasst dann wieder. Warum sollte sich irgendwas ändern, bloß weil er geschlafen hat? Aber es ist früh, er hat noch Zeit. Die Wand ist weiß – das Ende der Sommerzeit bringt ihn ganz durcheinander.
    Er kann sich noch erinnern, dass Danielle im Traum gelächelt hat, weiß aber nicht mehr, was sie gesagt hat. Er versucht, sich den Klang ihrer Stimme ins Gedächtnis zu rufen, schafft es abernicht, als würde sein Erinnerungsvermögen nachlassen. Jede Nacht geht er voller Hoffnung schlafen. Er kann es kaum ertragen aufzuwachen, weil es sie trennt, weil es ihn verurteilt zu dieser unechten Welt aus Bäumen und Straßen, aus Häusern mit Menschen drin, aus Autos, die nirgendwohin fahren. Der Traum war erotisch, es ging darum, was sie tun durften; sie gab ihm das Gefühl, alles sei okay, sie würden immer zusammen sein. Ihre Schultern waren nackt, aber er weiß nicht mehr, was sie anhatte – ihren schwarzen Bikini, den rosa glänzenden BH? Sie war glücklich, beruhigend, an mehr kann er sich nicht erinnern, und selbst das verblasst allmählich, überwältigt vom hereinfallenden Licht, der Himmel weiß wie Papier, ein verdorrtes Blatt an einem Zweig, zu dumm, sich fallen zu lassen.
    Er kann noch nicht aufstehen, das bringt Unglück, als stiege man auf der falschen Seite aus dem Bett. Er zieht die Decke über den Kopf, baut sich eine Höhle aus Atem und wartet, bis das Klingeln des Weckers wieder den Tag einläutet.
     
    Kyles Dad ist schon unter der Dusche (er denkt nicht an uns, er denkt nie an uns), also wirft Kyles Mom sich den Morgenrock über, schiebt die Zehen in ihre abgetragenen Hausschuhe und geht nach unten. Der Kaffee läuft über Zeitschaltuhr, und sein Haselnussaroma erfüllt die kalte Küche. Draußen ist es grau, und in dem leichten Nebel sieht der Wald seidig aus, ein großer blauer Eichelhäher nimmt das Vogelhäuschen in Beschlag und verstreut Körner auf der Veranda, die mal abgebeizt werden müsste – aber wann sollen sie dazu kommen? Nicht diesen Herbst. Frühmorgens übersteigt das die Fähigkeiten ihres Gehirns. Sie holt den Speck heraus und legt ein paar Streifen in die Bratpfanne, steht mit einer Gabel da und sieht zu, wie sie brutzeln und zischen.
    (Der perfekte Augenblick für den echten Kyle, den dienstbaren Geist der Bratpfanne, aufzutauchen. Wir warten alle undüberlegen, was wir sagen sollen, vielleicht: Wo bist du denn bloß gewesen?)
    Sie wendet die Speckstreifen, und das Fett knistert wie eine statische Entladung, wie eine Störung im Radio. Gleich wird sie von der Rolle über dem Spülbecken ein Papiertuch

Weitere Kostenlose Bücher