Halloween
lackierten Holz der Theke sind die Abdrücke von Wörtern eingekerbt. Hinter den Schreibtischen mit ihren leuchtenden Computern, auf einem Regal an der Rückwand, steht auf einem Verstärker das verchromte Mikrofon, mit dem sich Hook immer an die ganze Schule wendet, und Tim stellt sich vor, über die Theke zu springen und es einzuschalten.
Was würde er sagen?
«Hast du ein Entschuldigungsschreiben?», fragt Mrs. Camilleri.
«Nein», sagt Tim, sagt Toe. «Mein Wecker hat nicht funktioniert.»
Er sagt es mit einem Schulterzucken, um sie zu provozieren, aber er ist schon in der Oberstufe, und sie hält ihm keinen Vortrag («Das muss ich als unentschuldigt eintragen», hat sie zu Toe gesagt). Enttäuscht nimmt er den Zettel und geht, schiebt sich durch die schwere Tür in den fensterlosen Flur, leer wie ein Traum, hallende Schritte auf der Flucht vor ihm. Irgendein Mädchen hat ein Plakat mit einem gezeichneten Volleyball an die Wand gehängt:
Los, zeigt es Simsbury!
Er geht an Fenstern voller Reihen von Schülern vorbei, Gesichter, die ihn offen ansehen und sich gleich darauf verschließen, Gelächter, das ihn verwirrt. Alle sind in den Klassen, und er ist der letzte Mensch auf der Erde.
Das ist der Grund, warum er hier ist, dieses unbestimmte Gefühl, ein Geist zu sein (Junge, du hast ja keine Ahnung). Es hat etwas Unerlaubtes, Freies. Er rechnet damit, dass jeden Moment der Aufsicht führende Lehrer um die Ecke biegt oder die Treppe runterkommt und ihn erwischt, seine Bescheinigung eine durchsichtige Ausrede. Auf dem Treppenabsatz, zwischen den Stockwerken, versucht das schräg hereinfallende Sonnenlicht, ihn aufzuhalten, schneidet seine Beine ab, helle gebogene Streifen, die vor ihm die Stufen rauffallen, Staubkörner, die wie Fische in einem Aquarium durch die Luft treiben.
Er muss an Mr. Kunkel vorbeigehen, der Aufsicht hat und wie ein fetter Wächter zwischen den Türen zum Hauptflur sitzt und Arbeiten korrigiert. Er weiß nicht mehr, wer es damals war (es war Mrs. Pistorio mit ihrem getönten Haar), aber er weiß, dass es nicht dasselbe ist.
«Beeilung, Mr. Morgan», sagt Kunkel, ohne uns zu beachten. (Toe bohrt ihm den Finger in den Bauch, dem dicken alten Mehlkloß. Lass das, sagt Danielle, aber es ist witzig.)
Was hat sich sonst noch verändert? Sein Spind und seine Kombination sind dieses Jahr neu, und als er die Tür öffnet, hängt da auf Augenhöhe nicht das Bild von Danielle und ihm in Six Flags, wo sie beide im Superman an der Kamera vorbeibrausen, ihre Haare nach hinten geweht durch die schiere Geschwindigkeit. Das liegt bei den anderen in dem Umschlag zu Hause, und nichts anderes hat seinen Platz eingenommen, weder ein Spiegel noch ein Kalender, weder Aufkleber noch Poster. An den Haken hängen weder Extraklamotten noch Jacken, hinten im Dunkel der Regale lagern weder Snickers-Riegel noch Wasserflaschen, der Boden ist nicht mit Abfall oder zerfledderten Papieren übersät. Auf dem obersten Regal liegen seine Bücher und Hefte für morgens; auf dem untersten Regal liegen seine Bücher und Hefte für nachmittags.
Die Schulhefte wird er wegwerfen. Die Bücher wird die Schule jemand anderem geben. Er hat seinen Namen nicht reingeschrieben, also muss auch nichts ausradiert werden.
Was werden sie mit seinen Hausaufgaben anfangen? Sie werden sie nicht seinen Eltern zurückgeben. (Ein paar von ihnen werden sie eine Weile aufbewahren, dann schmeißen sie sie weg und fühlen sich einen Moment lang beschissen.)
Er steckt die Bücher in seinen Rucksack und macht sich auf den Weg zu seiner Klasse, kommt wieder an Mr. Kunkel vorbei, nur dass Kunkel diesmal nichts sagt. Seine Schritte hallen durchs Treppenhaus. Die Sonne ist verschwunden, der Himmel bedeckt, die Farbe von schmutzigem Schnee. Hook beginnt mit seinen Durchsagen; seine Stimme kommt von überall her, als würde das Gebäude sprechen. Im Flur fängt Tim schnelle Bilder von anderen Räumen ein, hell hinter Glas.
Und dann der Augenblick, vor dem er sich fürchtet: Er steht vor der Tür von Mrs. Alperts Klassenraum und weiß, was ihn auf der anderen Seite erwartet. Er zögert, denkt, dass er immer noch umkehren kann, dass heute alles ganz anders läuft und das nichtzählt. Und was dann, es einfach ohne Kyle tun? Er denkt daran, dass die Polizei seine Mom und seinen Dad auf der Arbeit benachrichtigt, denkt an die Fragen, die die Polizei stellen würde. Warum ist er in der Gegend rumgefahren? Warum war er nicht in der Schule? Sie würden sofort
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