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Halloween

Halloween

Titel: Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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übers Ufer wandern wie ein Rauschgiftfahnder, kann aber niemanden entdecken, bloß den umgekippten Käfig eines Einkaufswagens im felsigen flachen Wasser.
    Er nimmt den Pfad in den Wald und steigt den steilen Hang rauf, die Tüte mit den Burritos fest in der Hand. Es ist rutschig; er greift nach Wurzeln und macht sich die andere Hand schmutzig. Oben auf dem alten Bahngleis klacken bei jedem Schritt die Steine, doch es ist niemand da. Die Stadt wollte die Brücke für den Radweg benutzen, aber dann ging das Geld aus. Vor ein paar Jahren wurde ein Zaun errichtet, damit die Leute nicht über den Brückenbock laufen (es gab keine Unfälle nach einem Abschlussball, keinen nach einem Kopfsprung Gelähmten, es war zu offensichtlich); doch das gehört schon der Vergangenheit an, in der Mitte ein Loch, der schlaffe Maschendraht wie zwei Faltschiebetüren, die Tim auffordern, die Schwellen zu betreten. Von hier aus kann er den Fluss überblicken, kann sehen, wie er sich unter der Brücke zu einer Rinne verengt, wie sich geschmeidige dunkle Wellen bilden, bevor sich das Wasser schäumend über die Felsen ergießt. Der Regen bringt ineinander fließende Ringe hervor; Blätter treiben in der Strömung, werden vor der Engstelle immer schneller und verschwinden, tauchen wieder auf und wirbeln herum, gefangen im trägen Kehrwasser.
    Tim hakt die Finger in den Zaun und tritt hinaus. Die Schwellen sind schlüpfrig, das Kreosot schuhcremeblau mit einem regenbogenfarbenen Ölschimmer. Hier draußen rauscht der Fluss lauter. Unten jagen sich die Schwalben zwischen den Tragbalken durch. Er ist noch über festem Boden, als ihm das Offensichtliche in den Sinn kommt: Wenn er jetzt abstürzte, wäre er dann tot? Zwischen den offenen Schwellen hindurch betrachtet er das schwarze eiserne Gitterwerk, beschmiert mit Vogelscheiße, die dornförmigen Baumkronen, und er denkt, es wäre eine Möglichkeit, aber keine sichere Sache. Es würde alles verderben, also arbeitet er sich langsam weiter, nach vorn gebeugt, um das Gleichgewichtzu halten, und stellt einen Fuß neben den anderen, bevor er weitergeht, die Tüte zur Seite gestreckt, als wäre es eine Zeitbombe.
    (Wenn wir über die Schwellen gingen, haben wir immer ein Spiel gespielt. Du warst konzentriert und hast versucht, nicht runterzugucken, und plötzlich hat dich jemand von hinten an den Schultern gepackt und dich zu Tode erschreckt. «Hab dir das Leben gerettet», hat er dann gesagt.)
    Genau in der Mitte, stromaufwärts gelegen, gibt es eine Schwelle mit einem Loch drin, gerade groß genug für eine Bierflasche – Kyles Lieblingsplatz. Tim glaubt nicht, dass er Kyle jetzt hierher kriegen könnte, aber er hält ihm den Platz trotzdem frei, steckt das Dew in das kühlende Loch. Er kann den Angler immer noch nirgends sehen. Langsam geht er in die Knie, setzt sich und lässt die Beine über die Kante baumeln. Der Wind reißt die Servietten aus der Tüte; Tim kann nur noch zusehen, wie sie zuckend nach unten flattern wie Vögel. Na und – nichts ist perfekt. Er wickelt den ersten Burrito aus und lässt ihn sich schmecken.
    Der Fluss schlägt eine Bresche in den Wald, öffnet den Himmel, sodass Tim die fernen Hügel von Burlington sehen kann. Es nieselt, und er weiß nicht genau, ob er will, dass es schüttet, dass Blitze zucken und ihn erschlagen. Nach dem ersten Schluck Dew muss er aufstoßen – aber nicht bloß einmal, er hat echt einen Schluckauf.
    «Na super», sagt Tim.
     
    Kyles Mom ist spät dran und zieht ihre Jacke nicht aus, streift sich bloß die Schuhe auf der Matte ab, damit sie den Küchenfußboden nicht schmutzig macht. Wirft ihre Schlüssel und ihre Handtasche auf die Arbeitsplatte, drückt mit der Schulter die Tür zum Wohnzimmer auf und weicht mit einem Hüftschwung dem Couchtisch aus, rennt durch den Flur, an ihrer Zwillingsschwester im Spiegel vorbei, und biegt ins Fernsehzimmer. Die Fernbedienungenliegen auf dem Sofa. Sie packt sie, dreht sich um und lässt sich aufs Sofa fallen, während sie schießt – ein beidhändiger John-Woo-Fadeaway. AN, KANAL, LAUTSTÄRKE. Der Fernseher schaltet sich ein, und sie ist nicht zu spät, sie hat es nicht verpasst, sie ist da, als Blair ihr Top abstreift, um Max anzumachen. Die Szene bricht aus taktischen Gründen mittendrin ab, und die Titelmusik setzt ein, beruhigend wie ein Wiegenlied, der Vorspann mit den windzerzausten Stars tröstlich wie ein Familienalbum. Sie ist wieder in Manview, inmitten von
Liebe, Lüge, Leidenschaft,
und

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