Halo - Tochter der Freiheit
Fische deine Zunge gefressen? Du siehst wie eine Barbarin aus. Kannst du kein Griechisch?«
Halo gab sich nicht einmal die Mühe, verächtlich zu schnauben. Natürlich konnte sie Griechisch. Sie war von Zentauren erzogen worden. Das war die beste Erziehung überhaupt. Gut genug für Asklepios und Herakles und Achilles und für Jason mit dem Goldenen Vlies. Sie sprach besser Griechisch als dieses Mädchen, so viel war sicher.
Nur – sie wusste nicht einmal, ob sie überhaupt Griechin war.
Wären die Frauen Zentauren, dachte Halo, würde sie die jüngere Frau für die Mutter von Hypsipyle und die ältere Frau für die Großmutter halten. Aber die beiden anderen konnte sie gar nicht einordnen. Waren es Freundinnen? Aber die Mutter gab ihnen Befehle, das tat man nicht bei Freundinnen, die auf Besuch waren.
Jedenfalls nahmen ihr diese beiden Frauen endlich das Netz ab. Sie drehten sie im Kreis, zogen da und dort am Netz und wickelten sie aus. Hypsipyle lachte. Schließlich stand Halo sandig und bibbernd vor ihnen. Eine der beiden stummen Frauen reichte ihr ein Tuch. Halo wandte sich von ihnen ab und streckte und reckte ihre schmerzenden Glieder, die so lange gefesselt gewesen waren. Dann wickelte sie sich in das Tuch.
»Was hat sie da am Hals?«, fragte Hypsipyle plötzlich. »Darf ich es haben, Mutter?«
Sie streckte die Hand nach Halos goldener Eule aus, aber Halo packte ihr Handgelenk blitzschnell und so fest, dass das Mädchen aufschrie.
»Das kommt nicht infrage, Hypsipyle«, sagte die Mutter mit schneidender Stimme, woraufhin die Tochter zurückwich. Halo ließ sie los, ohne sie jedoch aus den Augen zu lassen.
Nun streckte die Mutter behutsam die Hand nach der Eule aus und rief überrascht: »Gold! Also wirklich. Die Leute zum Stehlen verführen!«, als ob das Halos Schuld wäre. Dann wandte sie sich ab und ging hinaus.
Kaum war sie fort, wurden die Frauen munter. »Armes, kleines Ding, halb tot«, sagte die eine.
»Nicht einmal zu essen haben sie ihr gegeben«, sagte die andere.
Aber erst am Abend bekam Halo eine Schüssel mit Gerstenbrei und eine Ecke des Frauenzimmers zugewiesen, wo sie sich hinlegen durfte.
»Ich schlafe lieber im Hof«, sagte sie, aber die Frauen lachten sie nur aus.
Tränenlos und wütend lag sie in dem dunklen Zimmer. Sie war froh, dass ihr wieder warm war und dass sie zu essen bekommen hatte. Aber sie hätte bei ihrer Familie, bei ihrem Fest sein sollen und nicht in diesem stickigen, kleinen Menschenhaus.
Sie wollte sich ausruhen und am Morgen aufbrechen.
Bei Sonnenaufgang hörte Halo, wie die Frauen aufwachten und aufstanden. Sie schälte sich ebenfalls aus ihrer Decke, wusch sich wie sie und ging mit ihnen in die Küche. Die Frauen lächelten sie an, und die eine sagte: »Du siehst heute schon ein bisschen besser aus. Wie heißt du? Ich bin Nimine. Ich komme aus Sparta. In Sparta ist es besser als hier. Du siehst wie eine Spartanerin aus – so stark. Hier bleiben die Mädchen immer im Haus und wollen blass und hübsch sein. Du würdest gut nach Sparta passen.«
Halo war verblüfft. Kein Mensch hatte bisher so freundlich mit ihr gesprochen. Aber sie schwieg.
Nimine reichte ihr eine Feige. »Hier, für dich, bis ich den Brei fertig gekocht habe. Also, wer bist du? Bist du hier aus der Gegend? Wieso warst du nackt im Meer? Hast du Schiffbruch erlitten? Bist du vielleicht eine Prinzessin! Kannst du sprechen? Oder bist du vielleicht eine Sklavin?«
»Ich bin keine Sklavin!«, rief Halo verärgert und vergaß vor Wut, dass sie sich vorgenommen hatte, nie im Leben mit einem Menschen zu sprechen. Sklavin! Bei den Zentauren gab es keine Sklaven – auch Leute, die sich selbst als Sklave bezeichneten, galten nicht als Sklaven. Wenn jemand Sklave genannt wurde, hieß das nicht, dass er auch ein Sklave war. Das hatte sie schon in jungen Jahren gelernt.
»Oh! du kannst sprechen!«, sagte Nimine erfreut. »Du musst nicht beleidigt sein. Ich bin eine Sklavin, also vielen Dank, kein Grund, unhöflich zu werden. Du hast eine komische Aussprache. Vielleicht bist du aus Kerkyra. Ich habe einmal einen aus Kerkyra getroffen, der hat auch so komisch gesprochen …«
Nimine reichte ihr einen Becher: Pfefferminztee mit Honig. Es schmeckte köstlich. Und sie sah Halo erwartungsvoll an.
»Ich bin nicht aus Kerkyra«, antwortete sie, denn diese Erklärung erschien ihr unverfänglicher, als über Sklaven zu sprechen. Oder doch nicht? Die Frage »Wer bist du?« hatte sie verwirrt. Das war
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